Vor mir liegen die Fetzen eines zehn Jahre alten Briefes des Inhalts, ich möge doch einmal Laut geben über die schwere Hundearbeit bei der Entenjagd im Watt. Wenn ich nicht irre, habe ich damals zugesagt; aber wie es so geht, es verfloss das siebente Jahrzehnt meines Daseins, bis es geschah, dass ich mich hinter die Schreibmaschine klemmte.
Damals hatte mir ein älterer Insulaner, der im Rufe stand – und steht -, einer der tüchtigsten und erfahrensten Wattjäger zu sein, aus der Geschichte der Entenjagd auf seiner Nordseeinsel und vorm Deich überaus interessant erzählt. Aus diesem Gespräch sollte ein Artikel werden, aber ich ging lieber jagen, mein Gedächtnis war schon damals schlecht, so dass ich Einzelheiten vergaß und nur Gewissensbisse zurückblieben.
Aber gestern – bei einem Wetter, an dem man nicht einmal einen wattgewohnten Hund vor die Tür jagen mochte – habe ich mich aufgerafft, bin über den Damm gefahren, habe mir vom Freund das Gedächtnis auffrischen lassen, und heute, fast muss ich mich bewundern, sitze ich an der Schreibmaschine, um endlich moralisch das Recht zu haben, den lästigen Brief vom 10. Oktober 1966 zu vernichten und etwas über Wattenjagd und Hundearbeit zu plaudern.
Beginnen will ich in dem Jahrzehnt vor 1914, der großen Zeitenwende. Es lebte damals abseits auf dieser kleinen Nordseeinsel ein Mann gehobenen Standes, denn man stellte seinem Namen den militärischen Dienstgrad voraus. Er war Leutnant, bei welchem Rang seinerzeit der Mensch erst anfing, einer zu sein. Von den Insulanern wurde er für einen „Sportsmann” gehalten, was aus der Sicht der Marschbauern damals bedeutete, ein nicht ganz normaler Mann zu sein: höflich, aus der Norm fallend.
Was ein normaler Jäger war, der ging im Winter auf die Treibjagd und schoss Hasen, das einzige Wild, das vorkam; denn die heute dort zahlreichen Fasanen gab es noch nicht. Enten schoss man nicht, von Ringeltauben gar nicht zu reden. Wer das tat, wurde etwa so angesehen, wie wir in heutiger Prägung und Auffassung jene Südländer betrachten, die auf alles schießen, was flie-
gen kann. Aber besagter Leutnant zog bei Ebbe ins Watt zu den Prielen, bewaffnet mit einer Flinte Kaliber 8. In einem Flachboot sitzend, auf das er einen Drehbock montiert hatte als Auflage für seine Kanone, schoss er auf Enten, die sich ihm, in großen Mengen auf dem Wasser treibend, näherten. So konnte der sportsmännische Leutnant in die vollen halten. Bei dem Kaliber mit beachtlicher Wirkung; ob bei der Bergung der Beute ein Hund half, ist unbekannt.
Schlechte Beispiele verderben gute Sitten. So um 1920 herum kam mein Freund, der Insulaner, aus der Gefangenschaftjung und voll jägerischen Unternehmensgeistes. Aber weil man auch damals nicht gleich Jagdpächter werden konnte, suchte er nach einem Gebiet, wo er seiner Jagdpassion nachgehen durfte. Die Enten! Da bot sich ein weites Vorland vor dem östlichen Schutzwall der Insel an – heute längst eingedeicht. Es war von Prielen duchzogen, in denen sich die Enten gern aufhielten.
Aber die jagdliche Auffassung hatte sich inzwischen geändert. Unter der Leitung eines erfahrenen beispiel-gebenden Mentors schoss man nur auf die aufstehende bzw. streichende Ente, und ein Hund, der apportierte, gehörte nun dazu. So weit fortgeschritten war man also, aber als hoch- und reingezüchtet ließ sich der Hund nicht bezeichnen. Ja, er war nicht einmal das, was wir als Jagdhund anerkennen. Da hatte doch einer von den Inselmännern während des Krieges dienstlich einen Sanitätshund geführt und nun mit auf die Insel gebracht. Diese Hündin wölfte Nachwuchs, und mein Freund erhielt einen Rüden. Als dieser herangewachsen war, durfte er seinen Herrn beim Jagen begleiten, denn apportieren konnte er. Saß man an, hockte der Hund daneben und hatte schnell raus, worum es ging.
Beim Abendstrich entwickelte er erstaunliche Eigenschaften. Der Jäger saß bei dieser Jagdart so, dass er zum westlichen noch ein wenig erhellten Himmel schaute, um gegen das Licht die Enten erkennen zu können. Der Hund neben ihm hatte den Blick jedoch ins Dunkle gerichtet, wo nichts mehr zu sehen war. Aber das feine Gehör – „He haar spitze Ohren” – nahm das leise Schwingenpfeifen der anstreichenden Enten wahr, und ein Druck gegen das Knie des Herrn gab diese Feststellung bald regelmäßig weiter. Da Freund J., so lang ich ihn kenne – und das sind viele Jahre -, immer gute Hunde gut geführt hat und etwas von ihnen versteht, glaube ich dem erfahrenen Inseljäger wohl, dass der Hund die Enten nicht sah, sondern aufgrund des vernommenen Schwingensingens anmeldete. Hier sei jedoch im Gegensatz zu dieser Erfahrung gleich mit allgemeiner Bedeutung betont, dass der Hund bei der Arbeit im weiten Watt die Augen fast mehr gebrauchen muss als die Nase.
So entsinne ich mich, dass ich in dem Watt, das heute den Hauke-Haien-Koog bildet, bei dem Bongsieler Wirt als Gast jagte und von seiner Hündin Bea begleitet wurde. Ich flügelte eine Spießente ganz leicht, und sie strich gewiss noch 400 m oder weiter, ehe sie ins Andelgras niederging. Bea, die den Grauvogel mit den Augen verfolgt hatte, setzte sich sofort in Marsch und war in sehr kurzer Zeit mit der Ente wieder da.
Nun war die Hündin, meist und viel im Watt geführt, natürlich sehr erfahren; wurde es nötig, wusste sie aber auch die Nase zu gebrauchen.
Einmal beschoss ich, binnendeichs an einer Wehle stehend, eine Knäkente, die aufsteigend mit hoher Fahrt über die Deichkrone nach außen ins Vorland flog. Im Schuss zeichnete sie. Also gingen wir über den Deich,
eine fast aussichtslose Nachsuche zu beginnen. Aufs Geratewohl schickte ich die Hündin mit „Such verloren!” voran. Sie stürmte los, eine bestimmte Richtung haltend, wohl 200 Meter und weiter, aber nicht die Ente suchend, sondern zu unserem Schrecken schnurstracks in eine Schafherde hinein und packte einen der Wollspender.
Wir hinterher, dabei musste ein wasserleerer Priel gequert werden. Beim eiligen Stapsen durch den Schlick sah ich in einer Ecke des Priels die kranke Knäkente sitzen. Die aber war in diesem Augenblick unwichtig, denn es galt, eine Katastrophe unter den Schafen zu verhindern. Wer die Verhältnisse kennt, der weiß, welche Panikflucht ein scharfer Hund unter diesen Tieren auslösen kann und welche Schockfolgen möglich sind. Die Masse der Vorlandgraser flüchtete über einen schmalen Steg dem Deich zu, ein Schaf aber hielt der Hund nach wie vor gepackt. Mit nicht ausgesprochen freundlichen Mitteln gelang es, es zu befreien. Wir trieben es vorsichtig dem Steg zu, den es unsicher betrat, dann stürzte es in den Schlick des Priels.
Ich sprang hinterher, aber vermutlich war das Schaf schwerer als ich, so dass ich in dem Maße, in dem das Tier angehoben wurde, selbst tiefer in den Schlick sackte. Schließlich gelang es mit Hilfe meines Begleiters doch, das Schaf an Land zu bringen, wo es auf den Deich zutrollte. Oben blieb es stehen und nässte, ein Glück, der Krampf hatte sich gelöst.
Nun konnte also die Suche nach der Ente weitergehen, gesehen hatte ich sie ja schon. Von dem Priel aus zweigten aber kleine Grüppel ab, so breit, dass man mit zusammengestellten Füßen gerade in ihnen stehen und sich vorwärtsschieben konnte. Da die Ente nicht mehr im Priel war, suchten wir die Grüppel Stück für Stück barfüßig ab. Nichts!
Wozu hatten wir einen Hund? Der hielt sich aber in vor-sichtigem Abstand von uns, eingedenk der Schaf-Lektion. Erst nach vielen freundlichen Worten ließ er sich bewegen, näher zu kommen. Ich führte ihn an die Stelle, wo die Ente gesessen hatte. In ganz langsamer Nasenarbeit, Schritt für Schritt, zog Bea ein Stück den Priel längs, bog dann in eine der Grüppel, die gerade vorher von mir mit Sorgfalt abgesucht war, und stand plötzlich eisern vor. Dort die Ente? Unmöglich! Dennoch mal hineingelangt, und tatsächlich, unter der ein wenig vorstehenden Kante saß sie!
Große Freude und Versöhnung mit Bea nach dieser Nachsuche. Ihr nicht anwesender Herr aber gelobte zu Hause, sie mit einem Schafbock zusammenzusperren, der werde ihr die Freude am Schafehetzen schon aus- treiben. Ob’s geholfen hat, weiß ich nicht.
Erschien Bea, wohl eine Kreuzung von Stichel- und Drahthaar, für die besonderen Wattzwecke ausgezeichnet brauchbar, so erwies sich Kerry, Kurzhaarhündin von Rasse, auf allen Einsatzgebieten hochqualifiziert. Sie wurde geführt von einem Waidgenossen, der schon vom Beruf her mit dem Küstenbereich aufs engste vertraut war und in der Wattenjagd sehr viel von seinen Hunden verlangte.
Kerry hatte sich zum Spitzenhund entwickelt. Dass die Hündin, wenn ihr Besitzer sich beim Herannahen von Enten hinter der Lahnung möglichst klein machte, diesem Beispiel folgte und sich platt legte, ist bei watterfahrenen Hunden nicht einmal sehr ungewöhnlich. Höheres Jagdverständnis offenbarte sich schon, wenn sie – darin dem eingangs erwähnten Bastardrüden ähnelnd – auf von hinten heranstreichende Enten aufmerksam machte. Nun, das tut manch anderer erfahrene Watthund ebenfalls.
Wenn Kerry aber nach langer Praxis die unter Schutz stehenden Brandgänse nicht mehr anzeigte, weil sie erkannt hatte, dass diese von ihrem Herrn nicht geschossen wurden, so ist das nach meiner Kenntnis einzig da-stehend. Ähnlich klug umgesetzte Erfahrung wurde deutlich, wenn die Hündin eine Dublette apportieren sollte. Zwar versuchte sie anfangs wie viele Hunde, beide Enten gleichzeitig in den Fang zu nehmen, später brachte sie die Beute aber nur einzeln – und war eine der Enten noch nicht verendet, suchte und trug Kerry stets diese zuerst herbei, auch wenn die andere näher lag. Ob die Hündin mit dieser Handlung die Erfahrung berücksichtigte, dass eine Arbeit bedeutend erschwert wurde, gab man der Kranken Zeit, sich ins strömende Wasser oder ins dichte Vorlandgras zu bergen?
Aber der häufige harte Einsatz im Watt mit hohen körperlichen Anforderungen durch Nässe, Wind und Schlick fordert seinen Preis, den auch Kerry zahlen musste. Im siebenten Lebensjahr erlöste der Tierarzt sie von dem schweren Rheuma, das sie so gut wie bewegungsunfähig machte.
Um dieser Berufskrankheit der Küstenjagdhunde vorzubeugen, hatte ich im Rucksack stets ein altes Handtuch, mit dem ich meine Spanielhündin Dina frottierte, wenn sie Enten aus dem Wasser gebracht hatte, was sie sich mit merklichem Behagen gern gefallen ließ. Aber auch diese ungemein wasserpassionierte Hündin kam manchmal an ihre Leistungsgrenzen. Es hatte im November eines stürmischen, nasskalten Tages reichlich Enten gegeben, über zehn Stück, die in Abständen etwa innerhalb von anderthalb Stunden ins auflaufende Wasser fielen. Da half schließlich auch das Frottieren nichts mehr, und so war es nicht sehr verwunderlich, dass sie bei der letzten Ente einfach streikte und durch keine Aufforderung mehr zu bewegen war, die Beute zu holen. Bedenken muss man dabei, dass ein Hund in den Watten keine Gelegenheit hat, sich zwischendurch wieder warm zu laufen, allenfalls kann er sich hinter der Lahnung in Windschutz stellen. Tage, an denen die Enten hier an der Küste besonders gut streichen, pflegen stets an kräftige Winde gebunden zu sein.
Mit dieser kleinen Hündin gab es auch insofern ein gutes Zusammenwirken, als sie sich, wenn eine Ente mehrere hundert Meter entfernt heruntergekommen war und Dina sie nicht mit den Augen verfolgen konnte, von mir übers Watt einweisen ließ; hatte sie eine größere Strecke hinter sich, schaute sie sich nach mir um. Winkte ich sie weiter, folgte sie, und so haben wir manche Ente bergen können.
Für die herrliche erlebnisreiche Entenjagd im Watt sind wohl Hunde aller Rassen geeignet, Wasserpassion und starker Bringwille vorausgesetzt. Aber die Erfüllung ihrer Aufgaben stellt, gleich wie dicht und undurchlässig die Unterwolle ist, harte Arbeit dar, die nicht selten schon früh gesundheitliche Folgen zeitigt.