Interessante Jagdhund Geschichten Teil I
In dem riesigen Revier, in dem mich zwei tüchtige Jagd-aufseher unterstützten, hatten wir gerade Zeit, die für uns benötigten Hunde immer fit und parat zu halten. Seitdem habe ich Hunde nicht mehr abgegeben. Das in Verbindung mit dem Schuss- und Fanggeld gute Gehalt bewog mich, es mit anderer Führung zu versuchen. Ich heiratete. Sicherlich wären mir manche aus diesem Entschluss erwachsenen Erkenntnisse bei einer weiteren Hundeführung zwecks Verkauf zugutegekommen; vor allem aber vertiefte sich hinfort das Gefühl der Seelen-verwandtschaft mit dem braven, leinenführigen Kameraden neben mir und bewahrte mich vor zu großer Eifersucht in dem nun beginnenden ehelichen Dreiecksverhältnis, über das noch zu berichten sein wird. –
Doch greifen wir mal einen Augenblick weit vor: Es ist wieder einer dieser windigen Märztage 1967. Der Sturm jault um die Hausecke, pfeift auf meinen Rheumatismus und den storrigen Eichenzweigen, macht die Fichten und die Fischer knirschen und flucht mitunter ganz gemein und hohl mitten aus dem grauen Himmel herunter, dass einem die kalten Schauder über den Rücken laufen.
„Hummel”, die Dachshündin, kuschelt sich an mich; wir liegen beide unter der Fuchsdecke und lassen den Wind wehen, denn es ist der junge Sonntag heute, der Sonnabendnachmittag, und wir halten Mittagsschlaf. Doch jetzt ist Kaffeezeit. Los, Hummel, weck’ Mutti. Sie trappelt hinüber ins andere Zimmer und stupst Frauchen. Was, die reagiert nicht? Olala, dagegen haben wir ein probates Mittel. Wir gehen hinunter in die Küche, ich setze den Wasserkessel aufs Feuer und stecke die Pfeifdüse drauf. Der Große, „Flott” heißt er, verschläft den Sturm in seinem Korb. Warte, auch du wirst gleich erwachen und begeistert mitmachen.
Ich greife Mütze und Halstuch, sag der Hummel: „Paß auf!” und gehe hinaus in die Fasanerie, um zu sehen, ob der Sturm auch nichts auf die Volieren warf. Wetten, dass in zehn Minuten der Kaffee fertig ist! Der Kessel fängt in einer Minute an zu pfeifen, und die Hunde fallen mit gräßlichem Heulen ein – das weckt Tote auf.
Mein Rundgang ist noch gar nicht zu Ende, da stehen die Hunde schon mit Rausschmißgesicht am Volierentor und holen mich ab. Zu dritt ertragen wir, als in jeder Beziehung Sturmerprobte, die Vorwürfe, ganz hinterlistige Kaffeeschleicher zu sein – und der Kaffee ist ausgezeichnet, und ein Häppchen des Selbstgebackenen fällt auch noch für jeden von uns ab. Na also.
Der Sturmtag ist so recht geeignet, das nächste Artikel zum Thema Jagdhunde über meine, nein, nun also schon unsere Hunde zu schreiben. Es handelt sich ja auch um Hunde einer stürmischen Zeit; um die Kriegshunde. Unser Gedenken ist ihr Denk-Mal.
Bevor ich mich an die Schreibmaschine setze, erreicht uns noch eine Sturmflutwarnung, und durch das Stubenfenster sehe ich die Krähen, mühsam bis fast an den Boden gedrückt, zu den Schlafplätzen taumeln. Bequem könnte ich ein Dutzend schießen, wenn ich am Rand der niederen Eichen stünde, und sie würden kaum den Schuss hören, aber es sind zur Hauptsache noch Russenkrähen, die durchziehen.
Wie oft habe ich als junger Mensch geträumt von einem Russland, in dem Krähen vor der Haustür nisten und hinterm Haus die Birkhähne kullern. Eine rot-blonde Freundin aus Island, die einige Zeit dort gelebt hatte und in Lübeck die Musikschule besuchte, erzählte mir davon. Wir saßen zufällig nebeneinander, als Bengt Berg einen Vortrag in der „Gemeinnützigen” hielt. Der Vortrag kostete fünf Goldmark, und nur wer die „goldenen Zwanziger Jahre” der Quäkerspeisungen wirklich kennengelernt hat, der wird ermessen können, wie tierlieb meine Eltern gewesen sein müssen, um mir diesen Besuch zu ermöglichen. Meine Knabenseele flügelte wie ein Schmetterling zwischen Bengt Bergs Regenpfeifern und der roten Blume heißer isländischer Erde neben mir hin und her, mit dem Erfolg, dass mir zusätzlich zu Bengt Bergs Weisheiten auch noch die Tierwelt Islands und des baltischen Ingermannlandes in den nächsten Wochen vertraut wurden, wobei wieder einmal die Schule hintenabfiel, die im Geschichtsunterricht von den kühlen, stolzen, unnahbaren Frauen der auf Island notgelandeten Nordmannen faselte.
Ja, wo waren wir doch stehengeblieben. Bei der Heirat. Flitterwochenzeit und die ersten Sorgen, denn jetzt hieß es neben den Hunden und der jungen Frau auch die im Schöße aller Zukunft keimende Familie mit Raubwildbälgen und Raubzeugfang zu ernähren. Aber mit der Frau bekam ich „Fritzel” von meinen Schwiegereltern, und der half. Weil die Mutter des Fritzel so sehr zur Familie gehörte, hatte mein Schwiegervater dem ganzen Wurf Menschennamen gegeben, und da er die Ansprüche seiner Tochter kannte, gab er mir als Mitverdienenden Fritzel. Der hatte seine eigenen Vorstellungen von der Jagd und es dauerte eine Weile, bis er sie mit meinen abstimmte. Ich hegte daher den Verdacht, dass auch die Schwiegermutter bei dieser Schenkung ihre eigenen Gedanken gehabt habe; vielleicht sollte ich mich ein bisschen über die Eigenheiten Fritzeis ärgern, um nicht gleich allzusehr über die Eigenheiten der Tochter zu stolpern.
Erstmals entwischte er mir als sehr junger Jüngling im ungeeigneten Augenblick und zerrte einen angeschweißten Fuchs an der Lunte aus der Röhre. Diana sei Dank, der Fuchs war verendet und Ritzel ein Held geworden, ohne Gewissensbisse meinerseits, und das blieb er, bis er „der alte Fritz” war und die Russen kamen, die keinen Sinn für vernarbte kleine Hundegesichter hatten. Ich sehe schon, in diesem Artikel wird Trauer einfließen, obgleich, wie alte Jagdvölker behaupten, es Überlebenden nicht liegt, länger zu trauern als eine Schlange verdaut. Die Wege ins Revier waren für den kleinen Kerl zu weit, er legte sie im Rucksack zurück. Auf
diesem Rucksack schlief er, zum Rucksack schleppte er seine Knochen, und wehe, der später dann alte Fritz kam dazu, wenn irgendein eingedrungener Ordnungsfanatiker den im Zimmer liegenden Rucksack aufheben und hochhängen wollte. Dieser Unglücksvogel, ob holde Maid oder General der Bodentruppen, wurde vom alten Fritz mit derselben Taktik aus dem Haus gejagt, mit der er den Fuchs aus einem Bau trieb. Kurz zufassen, tapfer zurück und kläffen, kurz zufassen, falschen Weg verlegen, giftiges Knurren, bis das unglückliche Wesen den einzig offenen Fluchtweg annahm; den zur Haustür. Fritzel starb als Held.
Ich weiß nicht, sollten wir den Krieg nicht doch besser übergehen? Meine Hunde waren so schrecklich unpolitisch. Das heißt, ich bin nicht sicher, ob das wahr ist; unparteiisch waren sie jedenfalls nicht.
Senta bewies das auf eine besondere Art. Schließlich war sie eine Hündin und ich als Jungvermählter in der angeborenen Taktik verehelichter Weiblichkeit, ihre Männer vor fremder Hitze zu bewahren, noch gänzlich unerfahren. So schöpfte ich keinerlei Verdacht, als meine Frau mir anempfahl, Senta, die Kurzhaarhündin, in die Ardennen mitzunehmen, wo mir Gelegenheit geboten war, Erfahrung im Umgang mit Wilddieben der belgisch- französischen Grenze zu machen. Der Gelegenheitsbieter war General Falkenhausen persönlich. Ich nahm also Senta mit, dorthin, wo ich der Führer war und als solcher leben wollte; Führer eines Jagschutzkommandos. Sie durfte als deutscher Hund in meinem Zimmer wohnen und bewohnte es als einziges weibliches Wesen.
Erst merkte ich gar nichts. Manchmal war das Zimmer nicht aufgeräumt, aber es fiel mir nicht auf, dass es die Vormittage waren, an denen Senta hatte zu Hause bleiben müssen. Zwar befremdete es mich, dass niemals die Wirtin oder eines der Mädchen mir etwas aufs Zimmer brachte, sondern nur der als einziger Mann im Hause anwesende Opa, aber ich glaubte, die Sittenstrenge des abgelegenen Bergdorfes sei daran schuld, zumal ich als Norddeutscher gewohnt war, mit Bewunderung und gebührendem Respekt die Unantastbarkeit bayerischer Almenmaiden zu besingen und annahm, Gebirg sei Gebirg. Dann wieder schob ich die Scheue der ardennischen Weiblichkeit auf meinen Ehering und sagte mir:
Du musst dich daran gewöhnen, dass die Verehelichung dich nunmehr der Lust des Fleisches gänzlich zu entkleiden hat, obgleich ich Fortschritte meines Körpers in diese Richtung noch nicht wahrzunehmen vermochte. Trübsinn befiel mich dergestalt, dass ich begann, mich für abnorm zu halten, wie ich trotz des mit einem Weibe geschlossenen Bundes immer noch auch andere Weiber schön und begehrenswert fand. Kurzum, ich machte mir bittere Vorwürfe, nicht so zu empfinden wie das andere Geschlecht, das offensichtlich auch die geringste Berührung mit einem ringtragenden Ehemann peinlichst vermied.
Nun, jede Intrige kommt einmal ans Licht. Eines Tages bespreche ich eine Jagd mit einem abseits wohnenden „Gardeschass” und bitte ihn, einige Pläne aus meinem Quartier holen zu lassen, sie lägen in meinem Zimmer auf dem Tisch. Der Mann hatte drei Kinder, unter ihnen ein Mädchen, und ausgerechnet das schickte er. Wir saßen vor der Tür, und wohlgefällig ruhten meine Kriegeraugen auf der davonradelnden Tochter des „Schaßörs”. Wer beschreibt mein Entsetzen, als selbige nach sehr kurzer Zeit im „Turdefranz-Tempo” und vorweggenommener Minirockmode – es fehlte sichtlich ein Drittel des damals noch unerläßlichen, inzwischen allerdings erlässlichen Kleidungsstückes -, Schrecken im Gesicht, die Semoisstraße herabgebraust kommt und ihrem Vater fast entblößten Beines unter die hochgezogenen Augenbrauen sinkt. Mir Blicke zuwerfend, die mir bei der kühnen Eroberung des Landes nie begegnet waren, zog sie sich, mit Ausdrücken, die wie Schiäng, Mistakkord und Diabel klangen, auf die Arme ihres überraschten Erzeugers gestützt, sichtlich missgestimmt ins elterliche Haus zurück.
Einzig ihre dabei sichtbar werdende Rückfront zeigte offene und aufgeheiterte Aspekte, die im Spiel einer besonders ausgeprägten Muskelpartie gerade in dem Moment tief versöhnend wirkten, als sie meiner neben der Haustür abgestellten Packtasche einen Tritt versetzte, der einen Besatzungssoldaten das Schlimmste über ihre Gefühle vermuten lassen musste. Philosophisch veranlagt und daher noch mit dem Widerspruch beschäftigt, wie die, so sichtbar von einem ihm zürnenden Geiste beseelte Hinterfront selbst dann noch freundschaftliche Gefühle im Betrachter zu erwecken vermag, wenn dieser – hier an seiner statt die Packtasche – einen Tritt von ihr bekommt, kam ich noch gar nicht auf den „Schiäng”.
Senta war schuld! Kein weibliches Wesen konnte mein Zimmer betreten oder gar meine Sachen anrühren, solange Senta anwesend war. Senta war schuld! Ich war aber von Stund an ein Aufgeklärter, wohl wissend, warum meine Frau mir geraten, die Hündin mitzunehmen – zu meiner Sicherheit; einer Sicherheit, die ich in meinem liebenden Herzen so ganz anders aufzufassen bisher geneigt gewesen war.
Der beginnende Russlandfeldzug, nein, man sagt wohl besser Krieg, brachte Senta, versehen mit meiner Mahnung, die gewisse Sicherheit nun auch weiterhin, aber diesmal in meinem Sinne, zu garantieren, wieder in den heimatlichen Zwinger und mich, nach einigen rasanten Umdrehungen, tatsächlich ins Ingermannland.
Der Sabakki, den ich mir vor Leningrad in einer Datscha gegen vier Pakete Tabak und eine Flasche Schnaps angelacht hatte, war eine Art englischer Setter im Schneehemd, an dem die bolschewistische Revolution mit wenig erzieherischer Einwirkung vorübergegangen war. Er geruhte, mich nach eingehender Prüfung in seinen zaristischen Bekanntenkreis als gleichberechtigten Großfürsten aufzunehmen Als er mich das erste Mal voll musterte, spürte ich, dass es widersinnig sei, ihm befehlen zu wollen, er solle mit mir kommen; er geruhte mitzugehen, das musste mir genügen. So nannte ich ihn „Großfürst”.
Als dieser russische Großfürst begriffen hatte, dass ich eine Flinte handhabte, verschwanden die letzten Zweifel, ich könne einer unwürdigen Abstammung entsprossen sein, aus seinen Gesichtszügen. Wer je einen ähnlichen Hund führte, wird meine Erleichterung verstehen. Der Großfürst geruhte Haarschnepfen auf zwanzig Schritt vorzustehen, aber er geruhte nicht zu erlauben, dass ihn mein Ochotniki, mein russischer Jäger, berührte, mit dem zusammen ich an einer ruhigen Front jagte. Pürschten wir im Winterwald, so ging ich mit der Flinte vorweg, dann kam der Ochotniki mit meiner (russischen) Maschinenpistole und als letzter der Großfürst. Es gelang mir nie, ihn an meine Seite zu locken, er ging als letzter. Der Russische Jäger glaubte sicher, ich hätte den Hund abgerichtet, ihm gegebenenfalls ins Genick zu springen, denn er schaute sich des Öfteren ängstlich um; aber auch, wenn wir zu dritt oder viert jagten, verschwand der Großfürst nach hinten, sobald wir hintereinander gingen. Jagten wir beide allein, so benahm er sich deutsch. Ich habe seine russische Seele nicht ganz ergründen können, er starb zu früh und so eigensinnig, wie eben manchmal, frei nach Tolstoi, Russen zu sterben belieben.