Interessante Jagdhund Geschichten Teil III
Ein Drahthaar! Doch gewiss ein deutscher?
Ich dachte: „Warte, Verräter, eine falsche Bewegung und ich ramme dir den Krückengriff unter den Fang, dass dir kein deutscher Knochen mehr schmeckt!” So ging ich eingedenk der Warnungen stracks auf ihn los und pflanzte mich vor ihm auf, sagte leise, aber bestimmt „Platz!” Hans Jürgen, damals ja noch kein Jäger und schon gar kein Hundemann, hielt, was ich tat, für Mut und unterlag prompt dem ansteckenden deutschen Angriffsgeist. Er baute sich neben mir auf, als wollte er dem Hund alle Reißzähne ziehen (er ist ja Dentist).
Der Drahthaar, ob so viel spontaner Zudringlichkeit wohl im unklaren, wer hier wen beißen wollte, erhob sein drahtiges Hinterteil, drehte es uns in Augenhöhe zur Direktansicht zu, sprang vom Tisch und äugte seinen Herrn auftragheischend an. Der, genauso erstaunt wie sein Hund, fuchtelte diesem mit einer Hundepeitsche altdeutschen Flechtwerks zwischen Tisch und Fang umher, ihm bedeutend, den alten Platz wieder einzunehmen.
Mehr automatisch als überlegt entfuhr mir bei der Fuchtelei ein „Fass, apport!” Und siehe, der brave Drahthaar griff die Peitsche, die der Offizier so plötzlich losließ, als stünde sie unter 220 Volt, und umkreiste mit ihr im Fang rutewedelnd die drei Krieger.
Er schien gewiss: Es geht jetzt zur Jagd! Der Herr Belgier, tiefer Weisheit voll, schloss seinen weit geöffneten Mund, öffnete ihn erneut, aber mehr in die Breite gezogen – und lachte mit! Dann stand er auf, nahm dem Hund die Peitsche ab klopfte damit auf den Tisch und sagte seinerseits „Platz!” – wie offenbar der deutsche Vorbesitzer es ihn gelehrt hatte. Der „Schrecken des Gefangenenlagers” setzte sich friedlich auf den Tisch.
Der Offizier bot uns eine Zigarette an, und Hans Jürgen, eingedenk unserer Wette, reichte mir seine, sichtlich zum erneuten Erstaunen des Verhöroffiziers, denn der wusste sehr wohl, dass eine Zigarette im Lager Gold wert war.
Eingedenk seiner eigentlichen Aufgabe erfuhr er schließlich im Verhör, dass ich als Berufsjäger ein Berufskollege seines Hundes sei, was ihn auch wieder mit dem Hund versöhnte, und wir unterhielten uns angeregt über die Fasanenreviere bei Brasskat nahe Antwerpen, wo Hans Jürgen und ich als Soldaten waren, weshalb wir hier vor ihm standen. Als er auch noch von unserer Wette erfuhr, schenkte er uns eine ganze Packung Zigaretten. Ein Vermögen!
Auf die Bissigkeit seines Drahthaars angesprochen, lachte er erstmals herzlich laut: „Deutsche Greuelpropaganda!” Ich bin noch heute überzeugt, dass Hans Jürgen und ich dem Drahthaar unsere baldige Entlassung verdankten …
So nach und nach lief alles wieder in normale Bahnen, nur mein geliebtes Revier Öhna blieb uns verschlossen – bis wir dort 1990 endlich mit alten Freunden die Wiedervereinigung feiern konnten. Aber bis dahin war’s eine sehr lange Zeit. Die Kollege wählten mich 1949 zum ersten Bundesobmann der Berufsjäger nach dem Kriege, und wir zogen um aus dem Hühnerstall in ein Schloss. Ministerialrat Dr. Mitzschke, der Geschäftsführer der neu gegründeten „Stiftung Hessischer Jägerhof”, der uns in Reinfeld besichtigte, kaufte alles ein, was er kriegen konnte: Die Familie, die Hunde, den Lehrling, das siebzehnjährige Mädchen Brigitte, Enten, Hühner und Kaninchen, Am liebsten hätte er auch noch den Rehbock mit Holzbein, den Uhu, alle Fallen und sämtliche Fasanen mitgenommen. Vorerst fuhren Hans Rudolf Dühr und ich voran ins „Schloss” Fasanerie Klein Auheim.
Das große Gebäude sah innen und außen so aus wie vom Mainzer Bischof um 1700 als Fasanerie gebaut und seitdem nicht geputzt. Kein Wasser, kein Strom und voller Flüchtlinge. Die dazugehörigen 100 ha Wald waren hoch ummauert. Die Flüchtlinge wurden umquartiert, und die „Naturwasserleitung” lief bald wieder, als Wunder bestaunt, nachdem sie gesäubert war. Bald konnte die Familie mit dem Hausrat per Zug nachkommen. Es war bis auf meine Frau für alle Beteiligten die erste Bahnfahrt, dazu eine mit einem Hundeabteil im D- Zug.
In Hessen stiegen amerikanische Besatzer zu, und plötzlich sprang Brigitte auf mit dem Schrei „ein Neger!”, rannte auf den Gang und alle drei Kinder und die Hunde hinterher. Meine Frau schaute der Meute entsetzt nach und sah, wie der „ganz schwarze Neger” sich grinsend umdrehte und die glotzende Korona damit zum plötzlichen Stopp und zögernder Umkehr brachte.
Immer wieder erzählte meine Frau, wie alle sechs gleichermaßen reagiert hätten. Noch während des Durcheinandergeschnatters im Abteil öffneten drei Schwarze die Tür und traten ein, lachten die zitternden Insassen an und verteilten Schokolade an alle, auch an die Hunde. Später besuchten uns viele Amerikaner in der Fasanerie (das erste Abkommen zwischen deutschen und amerikanischen Jägern wurde im Saal der Fasanerie unterzeichnet), aber die „Neger” wurden von den Hunden, sehr zum Ärger aller anderen, immer besonders stürmisch begrüßt.
Bautz lieferte schon kurz nach seiner Ankunft wieder einen Beweis seiner Menschenkenntnis. W.ir stellten für den Volierenbau etliche Helfer ein, aber einen von ihnen konnten wir nicht behalten. Wo Bautz ihn erwischte, biss er ihn ins Bein, und er fasste hart zu. Als ich das bei einer Zusammenkunft aller Förster unseres Forstamtes in Seligenstadt unter Forstmeister Graulich erzählte, fragte einer der Revierbeamten nach dem Namen des Mannes und lachte dann: „Schon zweimal wegen Wilderei geschnappt!” Dieser Förster wollte mir den Hund abkaufen, für viel Geld. Aber ebenso hätte er eines der Kinder verlangen können, denn Bautz, inzwischen Bautz Behnke genannt, war Familienmitglied.
Bautz erkannte nicht nur unliebsame Menschen, sondern auch unerwünschte Hunde, was mir später im Gehege Wolmersdorf manchen Ärger einbrachte mit Jägern, die ihre Hunde nicht im Griff hatten. Es lief dort ja alles frei herum, Bautz beschirmte sogar Schniefke, unseren Dachs, und die aufgezogenen Seehunde.
Aber zurück zu Klein Auheim. Da Bautz sich, wie schon gesagt, aus dem Bau abrufen ließ, bescherte er uns auch hier viele Füchse, vor allem aber Baum- und Stein-marder, für die unsere kilometerlange, über 200 Jahre alte und schon brüchige, übermannshohe Steinmauer um die 100 ha Wald herum bisher ein rechtes Zuhause gewesen war.
Doch ich will die vielen guten Jagdgeschichten über Hunde und mit Hunden nicht vermehren. Das war unser Dienst, in dem alles vorkam, was man schon mal gelesen hat. Immer hatte der Jäger schuld, wenn etwas schiefging, entweder er stand so blöd, dass der Marder ihn „benutzte”, um über die Mauerkrone zu entkommen, oder er griff irgendwo rein, um zu helfen, und „jubelte” dann in höchster Waidmannslust … Mauermarderjagd war nichts für zartbesaitete Hunde und Jäger.
Papa Hauck (Bankdirektor, Vorsitzender der Stiftung) und sein roter Langhaardackel „Hummel” bewegten sich vom ersten Moment an in unserer Gemeinschaft als dazugehörig. Sie rochen beide nach Jagd und Pulver. Einmal in der Woche holte ich in einem alten Volkswagen mit Tonne statt Rücksitz die Kantinenabfälle aus der Frankfurter Bank ab und musste mich bei der Sekretärin des Direktors melden. Im superfeinen Vorraum, wo hochmögende Herren auf ein Gespräch mit dem Direktor warteten, klopfte ich an die Tür der Vorzimmerdame. Schon nach zwei Schritten in deren Raum – hörte ich nebenan die Hummel jaulen, und bei meinem Eintritt ins Allerheiligste machte es sich der Herr Direktor bequem und genoss sichtlich den anstehenden Bericht aus der Fasanerie. Ich muss heute noch, wenn ich die Wartenden vor mir sehe, an das Bild von Geilfus denken: „Der Herr Direktor ist auf einer wichtigen Sitzung”.
Ganz das Gegenteil war unser Ministerialrat Dr. Mitzschke aus Wiesbaden. Er brachte sich bei seinen Besuchen Schnitten mit, damit er als korrekter Beamter bei uns nicht etwa verköstigt werden musste, und schleppte dauernd eine Achtungssphäre mit sich herum, als trüge er eine Kutte aus Aktendeckeln.
Beide waren unsere guten Geister, und wenn Dr. Mitzschke sich verabschiedete und sagte: „Behnke, im nächsten Leben werde ich mit Ihnen tauschen”, dann verstanden wir ihn. Und wenn Papa Hauck sagte: „Im nächsten Leben will ich mein Hund sein”, dann verstanden wir ihn auch, denn wir kannten den mitleidsvollen Ausruf seiner Frau, wenn er und sein Hund nach der Jagd verdreckt und nass vor der Haustür standen: „Ach, der arme Hund!”