Mit Hunden durch dick und dünn – spannende Jagdgeschichten Teil I
Da, ganz fern, schon nahe der Reviergrenze hörte ich die Rufe meines Max’. Ein Segen, dass der Hund eine so phonstarke Stimme besitzt – im Gegensatz zu vielen Stöberhunden, deren piepsiger Laut kaum auf 50 Schritt gegen den Wind ankommt -, dachte ich noch, als der Hetzlaut plötzlich deutlicher wurde und, ich konnte es kaum fassen, wieder auf mich zukam.
Langsamer wurde die Sau, und sie stellte sich mehrmals dem Rüden, Hetzlaut wechselte mit Standlaut. Ich wartete im Halbanschlag, hoffend, dass sie den Weg passieren würde, doch das Stück nutzte dazu eine Stelle hinter der nächsten Biegung, außerhalb meiner Sicht. Nun ging die Hatz 20 Meter links von mir in den engen Fichten vorbei. Die Sau bekam offenbar Wind, wurde wieder schneller. Ich folgte, gewann schließlich die Wiesenkante, diesmal am jenseitigen Saum der Steinbeck, und genoss ein Bild, das nicht mehr aus meiner Erinnerung zu löschen sein wird:
Auf etwa 120 Meter stellte Max im offenen Gelände die Silber-Sau. Wie Hammerschläge dröhnte sein Rufen, von den Phasen unterbrochen, wenn die Überläuferbache mit kurzem Griff in die Keulen am Ausweichen in den Alteichen-Bestand gehindert wurde. Dann warf sie sich wetzend wieder herum und stand bis zum nächsten Ausfall Kopf an Kopf, mit senkrecht gestellten Federn imponierend wirkend, dem Rüden gegenüber.
Vorsichtig, die offene Wiese meidend, pürschte ich unter Wind in Deckung der Randeichen bis auf Schrotschussentfernung vor. Max eräugte mich, nahm im Rückwärtsgang drei Schritt Abstand von der Sau und bedeutete mir damit, dass ich nun schießen durfte, ohne ihn zu gefährden.
Früher musste ich dieses Verhalten mit hartem Kommando erzwingen. In vielen Gefechten ähnlicher Art lernte er, worauf es in der Endphase ankommt.
Der Fangschuss war nicht ganz einfach, weil aus dieser Perspektive die Sau hinter einer Böschung kaum zur Hälfte frei wurde.
Als sie sich in ständiger Bewegung vor dem Hunde mir zuwandte, schoss ich und traf zu kurz – die Gebrechspitze. Das 10,5-g-KS-Geschoss aus dem 7x57er-Lauf meines Drillings zerlegte sich auf dem Unterkieferknochen und zerriss durch Splitterwirkung die Halsschlagader. Die Sau zeichnete nur kurz und warf den sofort zufassenden Rüden zurück. Hund und Sau waren rot vom Schweiß.
Schnell hatte ich nachgeladen, und mit meinem zweiten Schuss knapp unter den Telleransatz beendete ich den Kampf, als das Stück mir sein Profil bot. Max nahm die Sau in Besitz und zauste seine Beute ausgiebig. Ich ließ ihn gewähren, bis er genug hatte, und lobte ihn dabei. Das gehört dazu, gibt Motivation für die nächste Jagd. Vergessen war damit auch endgültig die vierzehn Tage zuvor niedergezogene Ricke.
Die Überläuferbache brachte aufgebrochen 44 Kilogramm auf die Waage. Mein erster Schuss vom Abend zuvor hatte ihr den rechten Hinterlauf unter dem Kniegelenk zerschlagen und zudem noch die Bauchschwarte 18 Zentimeter lang aufgerissen, ohne allerdings die innere Bauchdecke zu verletzen.
Als zusätzliche Überraschung bot sie außerdem einen verkürzten linken Vorderlauf, der gut verheilt war. Wie geschickt sie sich darauf eingestellt hatte, bewies sie mir während der rund zwei Kilometer weiten Hetze vor dem alten Max.
Anruf „meines” Forstamtsleiters am Montagmorgen: Wir müssen etwas tun, können nicht noch länger auf Schnee warten. Passt es dir besser morgen oder übermorgen?” Meine Atwort: „Bitte erst übermorgen; der Max ist Samstag geschlagen worden, muss sich erst erholen.” „Na gut, dann bis Mittwoch.”
Derweil liegt der alte Rüde auf der Sauschwarte und eckt sich seine Wunden: beidseitiger Riss am linken Vorderlauf und das Loch am Brustbein mit der faustgroßen Schwellung drumrum, die allerdings durch meine Mobilat-Behandlung bereits im Abklingen ist. Wird er übermorgen schon wieder jagen können bzw. wollen? Meine Frau, die das Gespräch mitgehört hat, murmelt unter vorwurfsvollem Blick so etwas wie „Brutalität” und Mord auf Raten”. Ich kann sie verstehen. Aber was wäre eine Saujagd ohne Max, wie würde er erst leiden, wenn er zu Hause bleiben müsste.
Wie konnte es überhaupt geschehen, dass dieser routierte Hund, der weit über 100 Drückjagden bestanden und dabei nur zweimal verhältnismäßig geringe Blessuren erlitten hatte, geschlagen wurde?
Vorgestern war es, beim zweiten Treiben, das wir mit gekannter Erwartung angingen, weil darin zwei kranke Sauen stecken konnten. Das Bruch, das bejagt wurde, bietet mit seinen eingestreuten Fichtenhorsten, Schilfgürteln und kleineren Dickungen im sonst lichten Laubholzbestand dem Schwarzwild geradezu ideale Einstände.
Aber auch für den jagenden Hundeführer hat es seine besonderen Reize, da die Sicht meist weiter reicht als in den engen Monokulturen von Kiefer und Fichte. Man muss nur geschickt jene sumpfigen Bereiche umgehen, die das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes nicht tragen, und über die vielen Quergräben an eben den Stellen springen, wo sie schmal genug sind oder ein gestürzter Baum den Balanceakt erlaubt.
Wirtraten in starker Besetzung an: drei Hundeführer mit fünf großen Terriern meiner Zucht, dazwischen nur jeweils ein Treiber. Rüdiger führte seinen alten Alf (Wurfbruder von Max), der sich nach der schweren Verletzung, die er durch das Gewaff eines Keilers vor über zwei Jahren erlitten hatte, prächtig erholt zeigte, und die Cyra, seine Nachsuchenspezialistin. Freund Hektor bewegte seinen Moritz, und ich hatte das Gespann Max/Marotte zur Hand (Cyra, Moritz und Marotte sind ebenfalls Wurfgeschwister).
Wir waren nach dem Anblasen kaum 100 Schritte vorangekommen, da passierte ein Rehbock mit prahlendem Bastgehörn hochflüchtig die Treiberkette. Moritz folgte sichtlaut, und Marotte konnte es zu meinem Ärger nicht lassen: Sie hängte sich an, ignorierte meinen Pfiff. Ohne die Verleitung durch ihren Bruder hätte ich sie wohl halten können. Naja, in zwei bis drei Minuten dürfte sie sich wieder einfinden. Und dann sollte ich sie (für die Rückmeldung) loben, statt den verbreiteten Fehler zu machen und zu strafen, was der Hund in solcher Lage ja nicht mehr auf die Rehhetze bezieht.
Max indessen, dem der Bock in voller Fahrt ganz nah gekommen war, hatte kein Interesse bekundet. Mit tiefer Nase strebte er vorwärts, wurde schneller und schließlich laut. Offenbar hielt er eine Fährte. Gerade als sich die Hündin wieder bei mir zeigte, drang der Jubelruf des Rüden an mein Ohr. Er hatte gefunden! Wie ein Pfeil schoss Marotte ab in die Richtung, aus der jetzt ziemlich fern, aber doch deutlich Standlaut zu vernehmen war.
Natürlich wurde ich nun auch schneller, um erforderichenfalls eingreifen zu können. Der Bail erklang bald schon dreistimmig. Moritz war ebenfalls am Kampfplatz eingetroffen. Welch herrliche Musik, wenn man die verschiedenen Stimmen an ihrem unterschiedlichen Klang erkennt, sie zu deuten versteht und endlich auch die jeweilige Hundepersönlichkeit in der betreffenden Aktion zu bewerten weiß.
Hier waren keine Blender beteiligt, deren Waidlaut in jungfräulich unberührtem Gelände oft selbst erfahrene Jager täuscht. Weniger ist eben manchmal mehr. Selbst der nur sichtlaute Hund sollte jenen überdrehten Typen (die es in allen Stöberhundrassen leider reichlich gibt) vorgezogen werden. Doch ich will nicht abschweifen. Das Treiben ging weiter.
Ziemlich außer Atem erreichte ich schließlich eine etwas luckige Fichtenkultur. Die tobenden Hunde sah ich zuerst, und dazwischen stand die Sau, deren Gewicht ich über der Freigabe-Grenze von 50 Kilogramm (nach dem Lüneburger Modell) schätzte. Ob sie krank war, ließ sich
nicht erkennen. Als sie sich verhältnismäßig langsam meinen Blicken entzog, indem sie mir die Kehrseite zuwandte, fiel mir allerdings auf, dass der Pürzel schlaff hing und die Quaste fast den Boden berührte.
Da ich wiederholt schon stärkere Sauen erlebt hatte, die sich recht dickfellig vor den Hunden benahmen (während andere geradezu in Panik gerieten), mochte ich aus diesem Verhalten keine Schlüsse bezüglich des Gesundheitszustandes ziehen. Inzwischen war auch Hektar rechts von mir aufgeschlossen. „Hat die nicht einen roten Fleck auf der Seite?” rief er mir zu, gerade als die Sau mit unseren drei Hunden in der Dickung verschwand. Ich konnte es nicht bestätigen.
In großem Bogen bewegte sich das Geläut nunmehr auf den linken Flügel zu, der von Rüdiger und seiner Koppel verteidigt wurde. Dieser hatte seine beiden Terrier gerade eben an die Halsung genommen, weil er sich schon kurz vor der Schützenlinie befand, als er den Hetzlaut auf sich zukommen hörte. Dann sah er die Sau vor den Hunden, erkannte an einem hellen Fleck (Gescheide auf der Ausschussseite), dass sie weidewund war.
Auf seinen Schuss, der die Kranke im Nacken tief krellte, so dass sie eigentlich hätte zunächst im Knall liegen müssen, zeichnete sie nicht einmal. Nun schnallte er seinen Alf und die Cyra. Zu fünft hielten die großen Terrier dann die Sau in unübersichtlichem Busch- und Schilfgelände. An einen weiteren Schuss war mit Rücksicht auf die Hunde nicht zu denken. So legte er die Büchse ab und zog das Waidmesser.
Als er sich der Sau von hinten näherte, warf diese sich herum und griff böse wetzend an. Der Stoß spitz von vorn glitt ab. Ein zweiter Versuch brachte das gleiche Ergebnis. Jetzt rüdete er die Hunde nochmals kräftig an, damit sie fester packen und ihm somit Gelegeheit geben sollten, der Sau die Kehrseite abzugewinnen.
Dabei geschah es: In hohem Bogen flog mein alter Max durch die Luft, während Rüdiger, die Situation nutzend, der Sau in den Rücken sprang und ihr den Fang hinter das Blatt setzte. Aufgebrochen brachte die starke Überläuferbache exakt 50 Kilogramm auf die Waage, war also doch noch genau „nach Maß”.
Meine durch frühere Erlebnisse bis dahin bestätigte Theorie, dass Keiler stets schlagen, Bachen aber beißen, wurde durch dieses Ereignis korrigiert. Der Schlag der Bache hatte den Rüden genau zwischen die Vorderläufe getroffen und ihn für den Rest des Tages außer Gefecht gesetzt.
Vier Tage nach seiner Verletzung stand Max schon wieder wedelnd an der Tür, als ich mich anschickte, das Haus zu verlassen und zum vereinbarten Treffpunkt zu fahren. Ein Leukoplaststreifen schützte den lädierten Vorderlauf. Ich war gespannt, ob und wie der Rüde den Schock verdaut haben würde. Nachts war etwas Schnee gefallen, der zum Kreisen noch eben reichte. Trotzdem: im ersten Treiben Fehlanzeige! Mir war es ganz recht. So konnten sich meine Hunde erst mal schön einlaufen.
Das zweite Treiben begann direkt an der Bundesstraße. Riesige, sturmbruchzerzauste Kieferndickung mit einigen engen Querbahnen. Jedes Auto, das hinter mir mit 100 Stundenkilometern und mehr langbrauste, verursachte ein maues Gefühl in der Magengegend, erinnerte an die dramatische Szene vor Jahren, als mir der Max einen Keiler zwischen zwei Wagen über diese Straße hetzte. Ich hörte kreischende Bremsen, dann Stille und endlich, wie erlösend, den Hundelaut jenseits. Noch mal gutgegangen.
Aber die Rückkehr des Rüden wurde mir zur Qual. Mara, meine Hündin, jagte nämlich noch fröhlich diesseits im Treiben. Ihretwegen wagte ich es zunächst nicht, die Straßenseite zu wechseln, stand am Saum und gab den Autofahrern Zeichen, langsam zu fahren. Nicht einmal die Hälfte reagierte. Es war Freitagnachmittag!
Endlich tauchte die Hündin neben mir auf. Schnell angeleint und rüber auf die andere Seite, dorthin, wo sich die Fluchtfährte der Sau in der Böschung abzeichnete. Es dauerte nicht lange, und Max saß vor mir, war wie üblich auf der Eigenspur zurückgekehrt, tat so, als sei das die größte Selbstverständlichkeit dieser Welt. So was kostet Nerven!
Meine Gedanken wurden durch giftigen Hetzlaut in die Gegenwart zurückgerufen. Zunächst meldete nur ein Teckel, dann auch rechts die schnelle Wachteline. War es ein Reh, wieder Richtung Straße? Meine Hunde stimmten jedenfalls nicht mit ein. Wo steckten sie? Endlich, da wieder Stille herrschte, weit vor uns die unverkennbare Stimme von Max.
Das klang zunächst nach Standlaut. Unter den Sturm-bruchverhauen wollen sich die Kujel nicht so leicht zur Flucht entschließen. Erfahrene Hunde gehen hier auch meist vorsichtig zu Werke, weil sie die Größenmaße ihrer Gegner nicht erkennen können, die sich aus dem überdachten Kessel dann oft nur mühsam und einzeln sprengen lassen.
So auch diesmal: Kurz nachdem sich als zweiter Hund ein junger DL-Rüde, der als Debütant dieses Winters auftrat, meldete, „ging die Post ab”. Die Hatz durchzog mehrfach im großen Bogen das Treiben, mal vor, mal hinter uns. Doch nirgends fiel ein Schuss. Als wir endlich klatschnass vom Tauschnee die Dickung auf der Gegenseite verließen, fehlten meine Hunde immer noch. Abblasen oder nochmals zurück?
Mit Hunden durch dick und dünn – spannende Jagdgeschichten Teil III