Ein Hund im Jagdrevier – weitere spannende Geschichten Teil II

Ein Hund im Jagdrevier – weitere spannende Geschichten Teil I

Vergebens sah sich Schnelle aber die hellen Thränen in die Augen, obschon man jetzt nötigenfalls mit der Büchse abkommen konnte. Weder auf der Wiese war von den Schnapphähnen etwas zu sehen, noch auf dem Fluss von einem Kahn. Dort war allerdings das Schilf höher, wie er geglaubt hatte, und ein nach der Wasserseite vortretender Rohrhorst verhinderte die Längssicht. Hätte der Hund nicht immer starr halbrechts nach dem Buchen-Stangenholz geäugt, welches auf etwa 500 Schritt begann und das als ein ehemaliger Brand mitten in einem gemischten älteren Bestände lag, so würde er vielleicht geglaubt haben, dass der Wind hier rein sei. Er kannte jedoch seinen „Seltsam” zu gut, um in diesen verhängnisvollen Irrtum zu verfallen. Schnelle glaubte also nach dem Benehmen des Hundes annehmen zu können, dass die Wilderer einem schwer krank geschossenen Stück in das Stangenholz gefolgt seien, um es zu suchen. Das paßte ihm ganz gut in seine Berechnung. Während er weiter nach einem etwaigen Kahn spähte, wartete er nur
noch auf ein wenig mehr Tageslicht, um dann am Wiesenrande entlang zu schleichen.

Eine Anzahl von Minuten verfloss noch. Nichts hatte sich im Rohr gerührt, und kein Ton verriet die Anwesenheit der Wilderer im „Brand”. Schnelle vermochte die Aufregung des Wartens nicht länger zu ertragen und begann auf allen Vieren den Randbirschpfad entlang zu kriechen. Hinter jeder guten Deckung hob er sich mit dem Oberkörper empor, um zu spähen und zu lauschen.

Nichts! – Und wenn die Kerle suchten, musste man sie in diesem Bestände doch hören. Mit etwas weniger Anstrengung, aber doch halb gebückt, schlich der Förster weiter. Nach einiger Zeit begann „Seltsam” ganz leise zu winseln und nach einer in den Wald einspringenden Wiesenschlänke zu äugen.

Schnelle ermahnte ihn zur Vorsicht. Daraufhin legte sich der Hund plötzlich wie in höchster Aufregung nieder. In diesem Augenblick sah der Förster dann auch, was die Blicke des Hundes fesselte und blitzschnell schob er sich hinter einen breiten Wacholderbusch vor, wo er sich schussfertig machte.

Auf etwa 120 Schritt kam auf der Wiesenschlänke im Stangenholz ein Schubkarren dahergefahren, der von einem Kerl geschoben, von einem zweiten am Seile gezogen wurde. Ein Stück Wild war die Ladung. Der ziehende Wilderer trug sein Gewehr unter dem Arm, der andere ein solches um den Hals.

Förster Schnelle hob seinen Drilling über die Wacholderbüsche und nahm damit die ungefähre Richtung. Wenn die Halunken auf 50 Schritt ran waren, wollte er ihnen anbackend sein Halt zurufen. „Seltsam” lag wie ein Panther zum Sprunge bereit. Sein Herr zählte jeden Schritt, den die Fuhre näher kam. Jetzt noch vielleicht 10 Meter näher und es war soweit. Da lenkte der Halunke mit dem Gewehr unter dem Arm quer über die Schlänke nach drüben. In der nächsten Minute konnten sie den Blicken des Försters entschwunden sein.

Schnelle riss das Gewehr an den Kopf und donnerte den sichtlich überraschten Gaunern zu:
„Halt, Gewehr weg, oder es giebt Dampf!”

Ja, sie waren beide völlig überrascht, aber nur einige Sekunden lang; dann blitzte es etwa 50 Schritt links von dem – Front nach dem Holzknieenden Förster auf, und nun hatten auch die beiden Wilderer bei der Karre die Büchsen gehoben. Weiter kamen sie nicht. Schnelle, der sich schwer getroffen fühlte, riss kurz hintereinander zweimal Funken; dann fiel er – sich auf den linken Arm stützend – zur Seite.

Der Hund wollte vorwärts stürmen, aber der Verwundete hielt ihn zurück und schob mit letzter Kraft und Überlegung zwei neue Patronen in sein Gewehr. Dabei entsann sich der schon Wankende eines alten Tricks, und er rief mit letzter Kraft: „Vorwärts, Günzel, nach dem Wiesenrand!”

Diesen Ruf schien „Seltsam” für den Befehl aufzufassen, auch seinerseits angriffsweise vorzugehen. Er entriss sich der schon zitternden Hand seines Herrn und stürmte hinter den beiden Wilderern her, welche, die Beute im Stich lassend, ausgerissen waren.

Förster Schnelle hörte noch einen Fluch, vernahm noch einen Schuss und hatte als letztes Zeichen der vorhandenen Besinnung die sichere Überzeugung, dass man jetzt kommen würde, ihn totzuschlagen, dann drehte sich alles mit ihm im Kreise herum, und er sank besinnungslos gegen den Wacholderbusch.

Wodurch er wieder zum Bewusstsein gekommen war, und wie lange er besinnungslos gelegen hatte, wusste er zunächst nicht, als ihm etwas Warmes über das Gesicht fuhr; dann hörte er es jedoch angstvoll winseln, und nun war ihm alles klar. Der Hund, sein „Seltsam”, war bei ihm. Die Wilderer mussten weg sein; sie hatten ihn nicht totgeschlagen. Aber auch so war es voraussichtlich um ihn geschehen. Die Kugel musste im Gesäß sitzen, und ein Gefühl steigender Schwäche deutete auf nahe Verblutung. Er wollte rufen, aber wenn die Kerle noch in der Nähe waren … Er zwang sich, die wie zugepressten Augen zu öffnen und sah nach dem Wasser. Wahrhaftig, in der Ferne entschwand eben stromabwärts ein Kahn.

Das gab ihm Mut. Er entsann sich des Hundes, und er stellte sich regungslos. Der Erfolg blieb jedoch lange aus; er hörte „Seltsam” nur winseln. Endlich entfernten sich die klagenden Töne. Schnelle sah dem treuen Tier nach, und mit Entsetzen begriff er alles. „Seltsam” kroch beinahe nur. Er war mit Schrot weidewund geschossen und blieb von Zeit zu Zeit stehen, sich die Seite zu lecken.

Auch diese Hoffnung war also vergebens! Schnelle gedachte seines Weibes. Sein ganzes Leben glitt in wenigen Minuten an seinem geistigen Auge vorüber. Das war nun alles zu Ende. Eine unwiderstehliche Müdigkeit kroch ihm vom Herzen zum Gehirn. Ein Schauer ging
durch seinen Körper. Das war wohl das Letzte; er verlor wieder das Bewusstsein.

Seine Stundenuhr war aber noch nicht abgelaufen. Nur eine Ohnmacht hatte seine Sinne umfangen gehabt, und als er aus irgend einem Grunde die Augen aufschlug, hörte er es unfern im Holz brechen, als naheten dort Menschen.

„Hier, hier!”, rief Schnelle so laut er konnte, und wenige Minuten später stand ein Schlächter aus dem nächsten Dorf mit seinem Gesellen neben ihm, und der erstere rief in einer Art staunendem Grauen:

„Also doch! Siehst Du wohl, August, ich hab gleich gesagt, da ist ein Unglück geschehen! – Herr Förster, Ihr Hund hat uns hergeführt, aber nu könnt’ er nicht mehr weiter, und da fingen wir an zu suchen.”

Wir sind eigentlich am Schluss unserer Erzählung. Der Förster wurde sorgsam auf die leer gemachte Karre der Wilderer gelegt und mittels ihrer bis zu dem auf der unfernen Straße haltenden Schlächterwagen geschafft, der ihn sofort zu dem nächsten Arzt schaffte. Als sich der hilfsbereite Meister vor der Abfahrt auf des Försters Drängen noch nach dem braven Hunde umsah, war „Seltsam” verendet. Der Förster hatte einst sein Leben gerettet, der unvergleichliche Bastard hatte das seine hingegeben, seinem geliebten Herrn zu helfen.

Förster Schnelle ist völlig wiederhergestellt, und er hat die Genugthuung gehabt, dass die drei Schnapphähne des Waldes schon am Tage nach seiner ernsten Anschweißung für lange Zeit unschädlich gemacht wurden. Der eine Hallunke hatte einen Schrotschuss in die rechte Schulter erhalten, und sein Wilddiebsgenosse wurde als der Besitzer der Karre festgestellt. Er hatte den verwundeten Kumpan geführt und war von „Seltsam” ziemlich ernst gebissen, bevor der Hund durch einen Schuss dessen unschädlich gemacht war, der auf Schnelle zuerst geschossen hatte. Der laut gerufene Name des Forstaufsehers Günzel hatte Schnelle, wie das Wilddiebskleeblatt cynisch gestand, in der That das Leben gerettet. Im anderen Falle würde man ihn für immer stumm gemacht haben.

In dem Garten der Försterei zu Kalklehne erhebt sich heute auf einem kleinen Hügel ein bearbeiteter eichener Wurzelstock, und auf ihm befindet sich ein Blechschild mit der Inschrift: „Hier liegt mein treuer Lebensretter „Seltsam”.”