Hunde und Hühnerjagden einst in der Börde – Geschichten für Jagd

Umgeben von weiten fruchtbaren Feldern im platten Land liegt die Gemeinde Wolmirsleben im Kreise Wanzleben der Magdeburger Börde. Auf einer großen Domäne lebte und wirkte der beliebte Amtsrat Schäper, groß an Wuchs, blauäugig, mit weißem Vollbart. Seine rechte Hand, wenigstens in jagdlicher Beziehung, war der Jagdaufseher Buhtz, im Gegensatz zu seinem Herrn von kleiner Statur, aber zäh wie eine Katze. Wenn ich zurückdenke, dann sehe ich diesen Bördejäger in leibhaftiger Gestalt vor mir, immer in Begleitung seiner kleinen, dürrlaubfarbenen Stichelhaarhündin Hertha. Sie hatte ihren Ursprung in der Nachbargemeinde Bleckendorf, wo der Gärtnereibesitzer Otto Hildebrandt mit Griffon Korthals’- scher Zucht jagte.

Diese Gegend war schon um das Jahr 1902 vorbildlich, denn die Gutsherren verwendeten gute Hunde aus stammbuchgerechten Zuchten, oft auch englische. Meist sah man gute Deutsch-Kurzhaar des auch heute noch bekannten Züchters Florstedt, ganz zu Anfang Nachkommen seines braunen Rüden Graf Hoyer von Mansfeld. Die Kurzhaar passten auch mit ihrer weiträumigen Suche und ihrem wiegenden Galoppsprung gut in die Börde mit der hohen Deckung in Rüben, Kartoffeln und Zichorien, und, vom Beispiel der Gutsbesitzer angesteckt, jagten dann auch die „Hühnerschützen”, meist Gäste der Jagdaufseher, mit Kurzhaar.

Da wir hier in Wolmirsleben sind, ist es nur schicklich, der Tochter Hannah des Amtsrates zu gedenken. Groß wie ihr Vater, mit nie versagender Passion für das heimatliche Waidwerk, besonders die Feldjagd, und immer in Grün gekleidet, lebte sie nach ihrer Heirat mit dem Marine-Stabsarzt Dr. Haun auf Bisdorf-Borne. Hier entstand, von der Chefin selbst betreut, die auch die Hunde arbeitete, der heute noch bekannte und in den Zuchtlinien wirkende Zwinger „von der Bode”. Einer unserer großen Kurzhaarführer und -abrichter, der Revierförster Otto Ewerdt, Schlemmin, arbeitete einige Hündinnen dieses Zwingers, von denen z.B. Tanna von der Bode noch eine besondere Rolle spielte. Hegemeister Ringhand, gewiss noch manchem älteren Jäger mit seinem Suchensieger Stern von der Bode in Erinnerung, ist genauso in die Zuchtgeschichte Deutsch-Kurzhaars ein-gegangen, wie der VGP-Sieger von Schönwalde-Schönerlinde Pack von der Bode 41 V, 1477, ein Sohn von Edelmann 1113 und große Suchen- und Vererbungsgröße der zwanziger Jahre. Der damalige Stationsjäger August Michehl, Zölkow, von dem noch die Rede sein soll, war sein Abrichter und Führer.

Vor diesem hervorragenden Hund und der Derbysiegerin von Großwirschleben, Tanna von der Bode, schoss ich in Bisdorf meine Dubletten auf Septemberhühner und bekam auch alljährlich eine Einladung zu den begehrten Winterjagden. Rutschig und neblig war es einst auf einer solchen, als der Jagdherr mich beim Auslaufen eines Kessels beiseite nahm und mir zuflüsterte: „Wenn ihnen ein Flug Trappen kommt, dann dürfen sie einen Hahn schießen, einen alten, bitte!” Der Flug kam nicht, aber ein einzelner alter Hahn, der kam! Rauschend, dass die Schwingen sangen, strich er auf beste Schussentfernung, während ich mich an einen Apfelbaum an der Chaussee drückte, an mir vorüber. Deutlich präsentierte er seine okergelben, schwarzgesäumten Dünnungen, den leicht geblähten Kehlsack und den Schnurrbart. Dem zwölfer Hasenfresser wäre es ein leichtes gewesen, ihn herunterzuholen, aber ich schoss nicht. Und damit hatte ich einen weiteren Stein im Brett.

Wolmirsleben war natürlich reich mit Hühnern und Fasanen besetzt. Das Klosterholz, vom Egelenser Stadtwald umgeben, in dem die Fasanerie lag, war berühmt. Mitten im Klosterholz befand sich eine etwa fünfzig Morgen große, mit hohen Pappeln umgebene Weide, die Kesselwiese. Wer hier mit Buhtz jagen durfte, meist waren es nur wenige Hausgäste und einige Offiziere aus Magdeburg, musste sich daran gewöhnen, dass die Kesselwiese auf der Hühnersuche unangetastet blieb. Es wurde also um sie herum gesucht. Dann waren bald je zwei Paar Schlingen voll, und die beiden mitgenommenen Jungen hatten zu tragen. Gevespert wurde meist an der Kesselwiese, von der sich dann die nach hier verstrichenen Völker unter dem bekannten surrenden Schwingenschlag hoben und hoch über die Pappeln und über die Bode strichen, um weit auf Tarthuner Gebiet einzufallen.

Mein Vater hatte die Erlaubnis, im Klosterholz allein zu jagen. Das tat er mit seinem Deutsch-Langhaar gelegentlich, und dann meist nur nachmittags. Als sein ständiger Begleiter erinnere ich mich einer interessanten Begebenheit: An der alten Bode stand ein sehr starkes Volk Hühner auf, das in Richtung Kesselwiese strich, aber unweit der Krähenhütte an einem Heckenstreifen einfiel. Hinter diesem Knick erschien der Jagdaufseher Buhtz und schloss sich mit seiner Hündin dem Unternehmen an. Weit auseinander gezogen musste das Volk vor uns in der großen Kartoffelbreite liegen. Da zogen auch schon beide Hunde, die sich durch vieles Zusammenjagen kannten, an, und Hertha legte sich. Ein Zeichen, dass die Kette dicht vor ihr sein musste. Bald standen die ersten Vollreifen Junghühner auf, und einige fielen unter den Schüssen.

Plötzlich strich vor meinem Vater ein alter Hahn laut rufend ab, der zweimal vorbeigeschossen wurde. Er kam dann Buhtz als Querreiter. Als dieser seine Flinte anbackte, sah ich deutlich, wie der Hahn im Streichen verhielt und sich senkrecht hob, so dass auch der erste Schuss des Jagdaufsehers vorbei ging, der zweite fasste ihn dann – zu meinem Bedauern. Dieser Hahn, vielleicht gewitzt durch die vorjährige Jagdzeit, schien durch die beiden Fehlschüsse meines Vaters zu wissen, so meinte man, um was es hier ging. Rebhühner sind überhaupt klug, wetterfühlig und sehr empfindsam. Wenn Hochdruck herrscht, dann halten sie auf deckungslosem Land. Andererseits surren sie, liegt Regen in der Luft, am Ende eines abzusuchenden Schlages schon weg, wenn man ihn kaum betreten hat, und streichen weit fort.

Die Güte der Bördejagden, Wolmirsleben, Bleckendorf, Westeregeln, Egeln, Schneidlingen, Kroppenstedt, Köchstedt und wie sie alle heißen, lag, was die Hühner anbetraf, an der Hege, an der Winterfütterung, an der Ruhe weiter und großer Jagddistrikte und, wohl am wichtigsten, am Boden. Der ist nämlich warm und fruchtbar, bot den Hühnern damals beste Äsung und Lebensmöglichkeit. Es gab hier keine guten und keine schlechten Hühnerjahre in unerem heutigen Sinne, hier gab es immer Hühner. Wie man sich auszudrücken pflegte: „Hühner wie Kümmel!” Naturkatastrophen, hier Platzregen zur Ausfallzeit der Gelege, sich anschließende Dauerregen, konnten den starken Besatz zwar einschränken, aber nicht merklich verringern. Natürlich wurde in jenen Jahren, und das hat sich gewiss maßgeblich ausgewirkt, strikt Schluss gemacht, wenn Althühner auf der Strecke überwogen oder den Junghühnern an Zahl die Waage hielten.

Die alte Henne ist das A und 0 des Besatzes. Dass sie sich aufopfert, ist nicht allgemein bekannt. Scharf angegangen, d. h. mit Hunden „verfolgt”, die Gangwerk haben, streicht sie, sobald sie Gelegenheit dazu hat, seitlich weit heraus, zu Stellen, die offensichtlich jedes einzelne Glied der Kette kennt. Meist streichen die dann augenblicklich führungslosen Junghühner in alle Winde und verwirren damit Hunde und Jäger. In Ruhe gelassen, tönt dann bald das zirpende Melden der Hühnchen, das ein gutes Ohr wie das Singen der Heimchen in alten Backstuben deutet. Von ihrem Standort aus meldet die Henne nur kurz scherrtzerritt, zerritt, und alles, was Ständer hat, läuft zu ihr, auch der Hahn! Jungjäger mit dem noch sehnsüchtig klopfenden Herzen, lasst die Hühner zufrieden, wenn Ihr das Zirpen der verstreut eingefallenen Jungen hört.

Jeder Jagdaufseher war in der Börde ein Herr, ein Feldherr. Er hatte seine Jäger, seine Hühnerschützen, anders konnte er den Abschuss nicht bewältigen. Ich wohnte schon Jahre in Berlin, da war ich noch Hühnerjäger beim Jagdaufseher Knoll in Etgersleben. Selbstverständlich erhielt ich als solcher auch eine Einladung zur großen Hasenjagd, aber nicht vom Oberamtmann, sondern von Freund Knoll. Ich saß dann abends natürlich nicht an der Tafel des Jagdherrn, sondern in der Kneipe. Das war zwar etwas anders als in Bisdorf, Wegeleben und Schadeleben, aber ich fand absolut nichts dabei. Gelernt haben wir, die Hunde und ich, bei Knoll noch recht viel.

Dort in Etgersleben sah ich einmal ein Meisterstück einer vielbejagten Kurzhaarhündin. Knoll schoss im hüft- hohen Kartoffelkraut von einer Stelle aus sechs Hühner hintereinander. Als nichts mehr aufstand, musste die Hündin suchen. Im Schritt, ein anderer Arbeitsstil war nicht möglich, ging sie durch die Kartoffeln und fand nacheinander alle sechs Hühner, zwei davon waren geflügelt.

Damit sind wir bei der Hundearbeit. Dieses Wort sagt alles; Suchen, Finden, Vorstehen, Apportieren, das ist in sengender Sonnenglut tatsächlich eine Hunde-Arbeit. Halsung bei der Suche ab, das ist das erste Gebot. Pausen einlegen bei großer Hitze ist das zweite. Wasser reichen das dritte. Meine Pussy, die später der Amtsrat Langhanky vom Reichsjagdamt kaufte, kippte mir, nachdem sie sich in hohen Rüben bei der Suche nach einem geflügelten Huhn verausgabt hatte, unter der Flinte um. Es bedurfte langen Wartens, bis sie sich wieder erholt hatte und ich sie zu Wasser führen konnte. Von diesem Zeitpunkt ab gab ich den Hunden morgens vor Jagdbeginn ein rohes Ei, das ihnen in den Fang geflößt wurde. Es kräftigte und stärkte.

Wer seinen Hund an heißen Tagen stark strapaziert, muss es sich gefallen lassen, dass dieser, werden keine Pausen im Schatten eingelegt, im Finden nachlässt. Das hat nichts mit schlechter Nase zu tun, die Hunde sind auf trockenen Böden manchmal einfach überfordert. Meine alte Heia, eine sehr gute und feinnasige Hündin, die in ihrem Leben weit über tausend Hühner apportierte, fand nach ausgiebiger Jagd in dem Gemeinderevier von Westerregeln auf blanker Roggenstoppel ein steintot herabgefallenes Huhn nicht. Mein Begleiter und ich auch nicht. Aber als ich der Hündin die Halsung überschob, traute ich meinen Augen nicht: Sie stand mit der einen Pfote auf dem verendeten Huhn.

Geflügelte Hühner sind Künstler im Versteckspiel mit dem Hunde, geständerte und durch das Gescheide geschossene schwer zu finden. Sie streichen nach entsprechendem Zeichnen sehr weit, senken sich und fallen schwerkrank ein. Ein gutes Auge merkt sich die Einfallstelle solcher Kranken, und der gute Hund erlöst sie durch sicheres Finden. Wer am kranken Huhn, insbesondere am geflügelten, bald aufgibt und den Hund nicht sorgfältig unterstützt, macht keinen guten Verlorenbringer von Federwild aus ihm und ist des Jagdscheines nicht wert.

Einst jagte ich im Oderbruch, ungefähr dort, wo Max Gohlke seine Pudelpointer von der Gohlau züchtete, mit meinem Freund Professor Paul Hans Ohmert, meinem Stahnsdorfer Nachbarn. Wir befanden uns mit meinem Leo in einer großen Rübenbreite. Ohmert trauerte noch sehr um seine Irish-Setter-Hündin und Verlorenbringerin, die gerade eingegangen war. Wir schossen beide unsere Hühner, die Leo apportierte. Er musste sie schließlich alle herangetragen haben, so dass wir die Rüben verlassen und auf der anschließenden Stoppel weitergehen konnten. Aber Leo beschäftigte sich noch immer in dem Schlag. Meine Pfiffzeichen, die meine Hunde sonst bei jeder Arbeitsgelegenheit zu verstehen pflegen, ignorierte er, so dass ich ausnahmsweise von meiner Stimme Gebrauch machen musste.

„Sie sind ein Tyrann”, tönte es neben mir, „sehen Sie nicht, was los ist?” Donnerwetter, jetzt sah ich es auch:
Immer wieder warf der Hund sich herum, steckte den Kopf mal hier, mal dort in das Kraut – und da sprang das geflügelte Huhn vor ihm hoch.

Reppschläger in Nauen, neben Revierförster Cords Führer des Paul Schäfer’schen DK aus der Stolpfshofer Rüdenlinie, ein sonst erfahrener Jagdaufseher, vertrat den grundverkehrten Standpunkt, ein Volk Hühner müsse mit einer Kopfstärke von wenigstens sechs in den Winter gehen. „Zwei nimmt der Habicht, zwei nimmt der Winter und zwei bleiben”, sagte er. Er hat aber nicht gesagt, ob diese zwei, die bleiben, Hahn und Henne sind. Das Herunterschießen und starke Dezimieren normaler Frühbrutketten ist eine ganz gewaltige Sünde. Ich persönlich neige der Ansicht zu, dass man eine gut besetzte Hühnerjagd durch falschen und zu scharfen Abschuss in kurzer Zeit ruinieren kann. Diesen Standpunkt teilte kein anderer als Ulrich Scherping.

Wind, guter Wind, selbst starker Wind bei blauem Himmel, ist des Hühnerjägers Freund. Gesucht wird aber immer gegen den Wind. In Zossen war es, als gelegentlich einer Herbstzuchtprüfung der Vorsitzende des Stammklubs Kurzhaar, Sanitätsrat Dr. Paul Kleemann, den eingangs erwähnten Führer von Pack von der Bode fragte: „Michehl, woher kommt der Wind?” Der so plötzlich Angesprochene fuhr erstaunt herum und sprach: „Aber Herr Sanitätsrat, Sie haben es uns doch schon vor Jahren beigebracht: Der Wind, der kommt doch immer von hinten!” Eine Lachsalve der Zuhörer folgte.