Auf Jagd zum letzten Mal mit meinem Jagdhund Teil I – interessante Jagdgeschichten

Es war heller Morgen, als ich aufwachte. Die Sonne schien grell durch die dünnen braunen Vorhänge vor dem Fenster, und die Luft im Raum war drückend. Ich fühlte mich sehr matt nach dem Schlaf. Mein Körper war mit Schweiß bedeckt, und beim Aufstehen zitterte ich ein bisschen.

Ich schob die Vorhänge beiseite, lehnte mein Gesicht dicht gegen das Fliegenfenster und sah hinaus in die flimmernde Schwüle. Ich spürte nicht den geringsten Luftzug. Kein Blatt an dem Birnenbaum, der den Zwinger beschattete, bewegte sich. Der Hof war staubig, und Ax’ lag vor seiner Hütte langgestreckt auf der Seite. Ich hörte ihn bis ins Zimmer hinein hecheln, sah, dass seine Flanken sich heftig auf und ab bewegten, und ich sah weg, richtete meinen Blick ins Zimmer zurück neben den Bettpfosten, wo die Flasche stand mit der hellduchsichtigen Flüssigkeit. Ich fühlte mich richtig elend, aber ich trank nichts von dem Zeug, sondern ging in die Küche rüber, um mich zu waschen.

Anna war dort. Anna, meine Schwester. Sie saß auf dem Stuhl vor dem Tisch und putzte Möhren. Ich sah, dass sie geweint hatte, und ich wusste, warum. Ich sagte „guten Morgen” und versuchte zu lächeln. Anna nickte bloß und sah mich fragend an. Ich tat, als bemerkte ich nichts und fing an, mich über dem Spülstein zu waschen.

Gestern hatte ich meinen Entschluss gefasst. Als ich nach Hause kam, hatte ich ihr gesagt, es muss sein. Sie hatte genickt. Auch sie wusste, dass es keinen Ausweg gab. Und nach einer Weile fing sie an zu weinen. Ganz still vor sich hin. Ich konnte das nicht mit ansehen und bin hin-ausgegangen.

„Es muss sein, nicht wahr?” fragte sie jetzt.
„Ja”, sagte ich, „es muss sein.”
„Heute?” „Ja, heute.”
Anna sah mich immer noch an. „Glaub mir”, sagte ich, „es ist besser so.”
„Wann?” fragte sie. „Mal sehen, nachher, nach dem Frühstück.”

Mir war nicht nach essen. Ich fühlte mich elend und matt. Meine Knie waren weich und zitterten ein bisschen. Ich ging rüber ins Schlafzimmer und blickte aus dem Fenster. Ax’ lag immer noch dort. Seine Flanken zitterten. Ich hörte ihn in der heißen Luft hecheln. Ich setzte mich auf mein Bett, hob die Flasche vom Boden auf, entkorkte sie und nahm einen ordentlichen Schluck.
Du bist ein verdammter Schwächling, sagte ich zu mir selber. Du bist ein ganz verdammter Schwächling, der sich heute sehr betrinken wird. Ich weiß. Aber das Zeug tat mir gut. Ich legte mich hin, trank, schlief, wachte auf, wie aus einem wilden Traum, schweißfeucht am Körper und matt, ich trank einen Schluck, um wieder einzuschlafen.

Um Mittag ‘rum wachte ich auf. Anna stand in der Tür.
„Du bist hier?” „Ich gehe jetzt”, sagte ich.

Sie ging hinaus, und ich holte die Flasche unterm Bett hoch, trank und stand auf. In der Küche wusch ich mich noch einmal, dann nahm ich den Rucksack und ging damit ins Schlafzimmer und legte die Flasche hinein. Im Flur zog ich die Leinenjacke an, nahm Patronen aus dem Schrank und steckte sie in die Tasche, hängte die Büchsflinte um und ging raus. Ax’ lag immer noch dort, wo er vorhin gelegen hatte. Er richtete sich schwerfällig auf, als er mich hörte.

„Auf Jagd”, sagte ich, seine Rute bewegte sich hin und her. Durch das Fliegenfenster hörte ich Annas lautes Schluchzen. Ax’ kam auf mich zu. Er wedelte mit der Rute. Seine Augen waren stumpf, und er wimmerte leise. Seine Bewegungen waren steif. Vor dem Wassernapf blieb er stehen, sah eine Weile hinein und leckte dann ein paarmal langsam daran.

„Auf Jagd”, sagte ich, seine Rute bewegte sich hin und her. Er tat, was er immer tat, wenn ich ihn holte: Er drückte seine Nase an mein Knie, und ich streichelte seinen struppigen Kopf. Er sah mich aus seinen glanzlosen Augen an.

„Nun komm!” sagte ich. Ich ging über den staubigen Hof zur Straße. Ax’ kam langsam hinter mir her. Er hechelte sehr, und manchmal jaulte er leise. Ich fühlte mich sehr elend, und die wenigen Leute, die um Mittag auf der Straße waren, benahmen sich sehr beleidigend mit ihren unverschämten Blicken, die sie unverholen auf Ax’ und mich richteten. Mir war, als ob mir das den Hals abschnürte, und ich bekam ein komisches Gefühl im Magen, der Schweiß brach mir aus den Poren. Es war ein endlos langer Weg über diese Straße. Nie jemals zuvor war sie mir so lang vorgekommen, und nie jemals zuvor hatte ich gewusst, wie gemein die Menschen auf dieser Straße waren. Weshalb sahen sie uns so an? Wir gingen auf Jagd!

„Nicht wahr, Ax’, auf Jagd!” Er wedelte mit der Rute.
„Dann komm jetzt”, sagte ich zu ihm. Er war ein ganzes Stück hinter mir zurückgeblieben. „Komm Ax’! Ich weiß, es ist sehr heiß heute. Aber im Wald wird es kühler sein. Komm!”

Eine Frau, die vorüber ging, sah mich kopfschüttelnd an. „Was ist?” sagte ich. Die Frau sah Ax’ an und schüttelte den Kopf. „Wir gehen auf Jagd!” schrie ich. Sie erschrak, sah mich entsetzt an und eilte davon.

Mir war ganz elend. Am liebsten hätte ich einen Schluck aus der Flasche im Rucksack genommen. Ich musste diese Straße hinter mich bringen.

„Komm, Ax’!” Ich hörte ihn hinter mir leise schmerzhaft wimmern und drehte mich um. Er hatte sich hingesetzt und sah mich aus seinen glanzlosen Augen an. „Auf Jagd!” sagte ich. Seine Rute zuckte hin und her, und in seine stumpfen Augen trat ein matter Glanz.

Als er neben mir war, setzte er sich schwer hin. Ich streichelte seinen struppigen Kopf. Ich merkte, wie mir der Schweiß von der Stirn triefte. Irgendein Mann stand auf einmal neben mir und fragte mich was. Ich könnte heute nicht mehr sagen, wie der Mann aussah und was er mich gefragt hatte. Ich weiß nur noch, dass ich Ax’ struppigen Kopf streichelte, dass ich mich neben ihn hinsetzte und immer nur seinen Kopf streichelte. Wie lange, das weiß ich nicht. Er hatte ganz still dagesessen und leise gewimmert, und dann war er auf einmal ganz ruhig, und irgendwann müssen wir schließlich weitergegangen sein.

Am Ende dieser verdammten Straße traf ich Paul Dressier. Wir jagen sehr viel zusammen. Er legte mir seine Hand auf die Schulter und sah mich mit ernstem Gesicht an. Es war das erste Mal, soweit ich mich erinnern kann, dass er so ernst war.

„Schade”, sagte er. Ich antwortete nicht, und er sagte nach einer Weile: „Es muss sein. Weißt du, einmal ist alles zu Ende.”

Ich wusste das, aber seit ich mit Ax’ unterwegs war, sträubte ich mich dagegen, das wirklich zu wissen. „Wir gehen auf Jagd”, sagte ich.

Sei vernünftig”, bat Paul. „Das bin ich”, sagte ich.

Schön. Dann geh jetzt.” Er klopfte mir mit seiner Hand auf die Schulter. „Soll ich’s für dich tun? Du siehst sehr schlecht aus. Ich weiß, wie das einen mitnimmt.”

..Hör endlich auf! Siehst du denn nicht, wir gehen auf Jagd!” In Pauls Augen trat etwas wie Verstehen, und er nickte.

Ich fühlte Pauls Blick im Rücken, bis ich mit Ax’ im Wald verschwand, und ich war froh, dass wir im Wald waren. Es war ein Buchenwald. Sehr schattig war’s darin und ein bisschen kühl. Ax’ war dicht neben mir.

„Hör mal, Alter”, sagte ich zu ihm, „bleib ‘n Stück hinter mir. Vielleicht können wir einen Bock anpürschen. Seine Rute wedelte hin und her, und er verhielt, bis ich an ihm vorbei war.

Später setzte ich mich am Waldrand auf den Hochsitz. Ax’ legte sich am Fuß der Leiter ab, als ich hinaufstieg. Ich blieb ungefähr zwei Stunden auf der schmalen Bank sitzen und beobachtete die Wiese vor uns. Ax’ war die ganze Zeit über sehr ruhig. Ich hätte heute sehr gern vor ihm einen Bock gestreckt. Aber die Wiese blieb die ganze Zeit über leer, und wir mussten weiter.

Wir pürschten am Waldrand entlang zum Eichenwald, wo es das ganze Jahr über eine Menge Tauben gab. Diese Pürschen waren oft aufregender als die auf manchen Bock. Und auch der Ansitz im Winter war ordentlich aufregend, die Minuten vorher, bevor sie kamen, um sich auf ihre Schlafbäume niederzulassen. Meinen ersten Bock habe ich hier vor Ax’ geschossen, drüben, in der schmalen Schneise. Was ist das lange her! Mein Gott, er hatte damals ein richtiges Welpengesicht. Und dort, wo die drei Kiefern dicht beieinander stehen, da hatte er sich – aber das war schon viel, viel später – diesen Fuchs um die Behänge geschlagen. Mann, was hatte das gestaubt!

Dabei hatte mir Paul Dressier prophezeit: „Schneid hat diese Töle wie’n Hase, und das wird sich auch nicht ändern”, weil den ahnungslosen kleinen Kerl eine Katze völlig grundlos und überraschend angefallen hatte.

Damals hatte ich fast selbst dran geglaubt, was Paul sagte Dieses dumme, aufreizende Gelächter von Paul, und wie Ax’ jaulend und mit eingekniffener Rute das Weite suchte, er, der doch schon ganz schön scharf an seinen ersten Böcken gezerrt hatte.

„Wenn ich dir einen Rat geben darf”, sagte Paul, der mir meine Wut ansah, „dann fackel nicht lange, trenne dich schnell wieder von dem Hund. Aber von wegen Ax’ und keine Schärfe! Hier am Graben, wo eine Zeitlang die Kastenfalle stand, brauchte ich bloß zu sagen: „Wollen doch mal nachsehen”, wenn wir hier unseren Gang machten, und schon löste er sich von meiner Seite und verschwand im Dickicht, und dann schlug er entweder Lärm oder kam einfach zurück, je nachdem, ob sich was gefangen hatte oder nicht. Aber es hatte sich oft etwas darin gefangen, und kein Raubzeug ist Ax’ entkommen. Weder die verwilderten Katzen, es waren eine Unmenge gewesen, noch die vier Iltisse und die zwei Füchse. Bloß den Baummarder habe ich ihm verboten, und selbst den hätte er fast noch erwischt, solch einen Luftsprung hatte er hinter ihm her den Baum hinauf gemacht. Ax’ war richtig beleidigt, dass ich ihm diesen Spaß verdorben hatte. Von Stamm zu Stamm ist er dem Marder mit vollem Hals nach, mit den Pfoten hat er die Bäume wundgekratzt, und mir hat er ärgerliche Blicke zugeworfen, weil ich das alles mit ansah und nichts unternahm.

Zwei Tage darauf tat er unten im Bruch einen starken Fuchsrüden ab, so was hatte ich noch nicht gesehen. Warf sich vor den schlecht getroffenen Fuchs lang auf den Bauch, bekam ihn am Unterkiefer zu fassen und brach ihm sofort das Genick.

Ax’ hat auch seine Dresche gekriegt. Einmal von einem Fuchs, der sich in seiner linken oberen Lefze dermaßen verbissen hatte, dass ich ihm, nachdem er schon verendet war, den Fang aufknebeln musste, und einmal von einem Habicht, was er seinem damals noch mangelhaften Gehorsam zuzuschreiben hatte. Der Habicht stand krank auf dem Sturzacker, setzte sich dann, als Ax’ heranfegte, auf den Stoß und schlug dem Hund sein Gewaff zu beiden Seiten in den Fang. Ax’ rannte schrill aufjaulend im Kreise, und ich konnte nichts anderes tun, als ihm immer wieder zuzurufen: „Fass, fass, fass!”

Aber wie sollte er? Der Habicht hielt die Ständer steif gestreckt, so dass Ax’ ihn nicht in die Brust fassen konnte. Schließlich drückte er ihn hart auf den schwarzen Ackerboden und biss ihn tot. Auch die Fänge des Habichts musste ich aus Ax’ lösen.

Aber seine richtige Dresche hatte er sich von Artgenossen geholt. Von zwei Schäferhunden, als ihn die Neugierde zu nahe an eine vorüberziehende Schafherde trieb, und von einem Jagdterrier, dem er bei einer Treibjagd den Fuchs abspenstig machen wollte. Die beiden Schäferhunde ließen sich zum Glück noch von ihrem Herrn zurückrufen, aber sie hatten Ax’ ordentlich zugesetzt: einer hatte ihn im Nacken gepackt, und der andere hatte ihm den rechten Behang in Fetzen gerissen.

Der Terrier hätte Ax’ um ein Haar totgebissen. Dieser giftige Hund war dafür bekannt, selbst Dachse zu würgen. Ehe Ax’ sich versah, saß ihm der Terrier schon am Hals, und dann lag Ax’ auf dem Rücken und röchelte, und es wäre mit ihm aus gewesen, wenn nicht dieser grobe, derbgesichtige Kerl, dem der Jagdterrier gehörte, seinem Hund einen Fußtritt in den Bauch versetzt hätte, dass dem kleinen Kerl die Luft wegging.

Auch seine Dummheiten hat Ax’ hinter sich. Er hat Dorf-müllers Schweine vom Hof getrieben und sie dann stundenlang durch den Wald gehetzt, und an der brombeer – bewachsenen Böschung hat er gleich zu Beginn der Jagd das Frettchen totgebissen, noch ehe das erste Kaninchen erlegt worden war, und die Jagdgesellschaft ist ganz schön ärgerlich nach Hause gegangen. Hasen
hat er gehetzt, dass einem rot vor Augen wurde, und anschließend besaß der Lausekerl noch die Frechheit, sich einen Fasanenhahn um die Behänge zu beuteln als wär’s ein Fuchs.

Er war wahrhaftig nicht nur ein Prachtstück, und er besaß wie seine besonders guten auch seine besonders schlechten Tage. So hatte er einmal hier in diesem Eichenwald eine Taube von Paul Dressier, die nach dem Schuss noch ein ganzes Stück weggestrichen war, einfach nicht gefunden. Sie lag auf einer sonnigen Blöße im hohen Riedgras, und Ax’ war schon zweimal über sie gelaufen, ohne sie in die Nase zu kriegen, und dann bückte sich Paul Dressier, hob sie auf und warf mir einen Blick zu, den ich ihm bis heute nicht verziehen habe, und sagte: „Einfach keine Nase, die Töle, einfach keine Nase. Ich sag’sja immer: Hunde mit dicken Ruten haben keine Nase.” Das war so eine von Pauls Theorien, dass Hunde mit dicken Ruten keine gute Nase hätten. Aber wenn wir über die Rübenfelder gingen, und Ax’ stand die Hühner in herrlicher Manier sehr weit vor, und ich fragte dann Paul: „Na, hat er keine Nase?”, dann schlenkerte er bloß mit der Hand und sagte: „Ach”, oder er meinte: „Na ja, aber im allgemeinen stimmt das schon: Hunde mit dicken Ruten haben einfach keine Nase.”

Direkt was Gutes hat er über Ax’ eigentlich nie gesagt, aber ich weiß, dass er Ax’ mochte, und wir haben sehr viel zu dritt gejagt. Hier in diesem Eichenwald auf Tauben, und unsere Schnepfen haben wir uns hier geholt, weiter hinten, wo die Erlen stehen, am Rande der Fichtendickung: und durch die Fichtendickung durch, dann die Wiese runter zu den Tümpeln, dort machten wir im Herbst immer unsere kleinen Entenjagden. Wenn wir an diesen lauen Vorfrühlingsabenden im Gehölz standen und den Geruch der Knospen und des jungen Grases spürten, und aus dem Schwarz des Bodens ragten Schneeglöckchen neben den vereisten Furchen heraus, und kleine Purpurwölkchen knäulten sich am matter werdenden Himmel, und wenn sie dann herangaukelte, die Ersehnte, und der Knall den Abendfrieden zerriss, sie hinabfiel ins Dunkle, Undurchdringliche, dann hatte Ax’ seinen großen Augenblick. Man hörte ihn durchs Gezweig brechen, leise hecheln und dann tauchte er aus dem Dunkel vor einem auf und hielt behutsam den kleinen Vogel im Fang.

Auf Jagd zum letzten Mal mit meinem Jagdhund Teil I