Ein Hund im Jagdrevier – weitere spannende Geschichten Teil I

Förster Schnelle hatte sein an einem schiffbaren Fluss Mittel-Deutschlands liegendes königliches Revier erst kürzlich übernommen. Er war verhältnismäßig jung und trug ein goldtreues, aber auch starkes Herz in seiner Brust. Die Pflicht ging ihm über alles. Schon als Forstaufseher war er einmal von Wilderern aus dem Hinterhalt mit Schrot angeschossen worden, das war ihm jedoch nur ein Sporn gewesen, in dem Kriege mit jenem Gesindel unbeirrt fortzufahren. Schnelle war auch reich, reich an Liebe. Neben seinen ihm zärtlich zugethanen alten Eltern und einer Schwester, besaß er ein lebensfrisches junges Weib, das er, ohne nach einer großen Mitgift zu fragen, nach seiner Beförderung zum Förster heimgeführt hatte.

An Glücksgütern mangelte es ihm freilich. Das kleine Vermögen der Frau hatte eben nur hingereicht, das Inventar von seinem pensionierten Vorgänger zu übernehmen und sich notdürftig einzurichten. Darum hatte es ihm auch noch nicht dazu gelangt, sich im Forsthaus Kalklehne einen neuen Jagdhund anzuschaffen. Bis jetzt musste trotz Gicht und Schwerhörigkeit noch immer sein alter Treff herhalten, wenn es bei ihm oder auf Nachbarrevieren einmal etwas zu jagen gab. Dieser Mangel machte sich ihm sehr empfindlich bemerkbar. Das Kalklehner Revier gehörte zu einer Oberförsterei mit einem reichen Rotwildstande und einer noch besseren Schwarzwildjagd. Außerdem war die Spätsommer-Jagd auf Rauherpel in den Flussbuchten ganz vortrefflich. Da hatte er aber bisher mit seinem alten Hund immer das Nachsehen gehabt, denn der gichtbrüchige Treff war dieser schwierigen Arbeit nicht mehr gewachsen.

Unter solchen Umständen hatte sich Schnelle schon längst vergeblich nach einem Ersatz für seinen alten Hund umgesehen, als er eines Tages in der unfernen Stadt dazukam, wie ein Gasthofbesitzer, der größere Jagden gepachtet hatte, im Begriff war, einen von einer stichelhaarigen Jagdhündin geworfenen sieben monatigen Pudelbastard aufzuhängen, weil dieser eine Anzahl kostbarer Hühner abgewürgt und seinen Herrn gebissen hatte. Um es kurz zu machen, Förster Schnelle erkundigte sich nach den Eltern des dunkel gescheckten, sonst grauen Hundes mit dem struppigen Gesicht und erbat sich ihn dann kurzer Hand zum Geschenk, was ihm mit Vergnügen gewährt wurde.

Von dem Abend dieses Tages an begann auf Forsthaus Kalklehne für den dem Tode entrissenen Bastard – der den auffallenden Namen „Seltsam” trug – eine ernste und strenge Lehrzeit, die zunächst den unweigerlichen Gehorsam ins Auge fasste. Es gab eine kurze Zeit, wo er dem Förster eine eigensinnige Widersetzlichkeit entgegenstellte, aber unerschütterlich ernste Milde trug schließlich nicht nur den glänzenden Sieg davon, sondern Schnelle hatte auch die Freude, in „Seltsam” hervorragende Tugenden zu entdecken.

Der Bastard war nach beendeter Stubendressur auch draußen so fest im Gehorsam geworden, dass er unaufgefordert niemals die linke Seite seines Herrn verließ und auf dem Anstand regungslos neben dessen Füßen lag. Jeder Schweißfährte folgte er mit der unfehlbaren Sicherheit des besten Schweißhundes und verbellte auch das verendete Stück. Die Enten- und Schnepfen
jagd war ihm eine angeborene Freude und jeder Fuchs sein tödlicher Feind, den er mit einer ungestümen blinden Wut kurzer Hand abwürgte. Zu diesen glücklichen Eigenschaften kam noch eine besondere, gerade für dieses schwarzwildreiche Revier angenehme Eigentümlichkeit. Sobald der Förster mit „Seltsam” unter Wind an einer Dickung vorüberkam, in der Sauen steckten, erhob sich der Hund nach Pudelart auf den Hinterläufen, reckte die Nase in den Wind und begann in unterdrückter Leidenschaft leise zu winseln. Für seine eigenen Zwecke brauchte Schnelle dann gar nicht mehr das Jagen zu umschlagen, er konnte sich auf seinen Hund verlassen. „Seltsam” schien die Worte seines Herrn förmlich zu verstehen und bildete sich immer mehr als „Mädchen für Alles” heraus. Überfiel das Wild die mangelhafte Einfriedigung des Forstackers, so galoppierte „Seltsam” auf einen Wink hin und brachte die naschende Gesellschaft auf den Damm, ohne auch nur einen Schritt in den Wald zu folgen.

Natürlich machten die vielen guten Eigenschaften den Hund seinem Herrn geradezu unentbehrlich, und es bildete sich ein geradezu ideales Freundschaftsverhältnis zwischen Schnelle und ihm heraus, welches ungetrübt gewesen wäre, hätte „Seltsam” nicht auch eine Untugend besessen. Er war nämlich misstrauisch ungalant gegen alle fremden Personen weiblichen Geschlechts und fast gemeingefährlich böse im Bereich der Försterei gegen unbekannte Männer der arbeitenden Klasse. Dieses Misstrauen, welches Schnelle schon manchen sauer verdienten Groschen gekostet hatte, rührte noch aus der ersten Zeit seines Aufenthaltes zu Forsthaus Kalklehne her, wo der damals noch vertrauensselige Hund von zwei Bengeln misshandelt war. Jedes Mittel der Güte und Strenge war dagegen umsonst, und wollte sich Schnelle nicht entschließen, den treuen Gefährten auf hundert Patrouillengängen zu erschießen, so musste er unausgesetzt eine überaus peinliche Vorsicht üben.

Zu ersterem konnte sich der Förster umso weniger entschließen, als in der Nähe des Flusses der Holz- und Streudiebstahl nicht auszurotten war und dort auch von Zeit zu Zeit – meistens vom Kahn aus – gewildert wurde.

Dieses war gerade zu der Zeit, als der zwei Jahre alte Hund so manche Übelthat auf seinem Gewissen hatte, öfter als sonst geschehen, und deshalb verwarf der Förster den Rat seiner Kollegen, den bösen Racker einfach totzuschießen.

So kam die Zeit der Heuernte, und Förster Schnelle war mit Knecht und Magd dabei, die getrockneten Schwaden in Haufen zu bringen, Es war ganz besonders heiß, und da es möglich schien, von der ersten Mahd vormittags noch ein Fuder einzunehmen, so sandte der Förster nach beendeter Arbeit seine beiden Leute nach Hause, den Austwagen zu holen.

Als Magd und Knecht weg waren, legte sich der Förster am nahen Waldrande im Schatten eines Baumes nieder. „Seltsam” saß zu seinen Füßen und hechelte.

Weiß der Himmel wie, plötzlich legte sich Schnelle auf den Bauch, und während er sich dehnte, drückte er das Gesicht in die vorgehaltenen Hände.

„Seltsam” schien anzunehmen, seinem Herrn sei etwas geschehen, sofort begann er zu bellen, den still liegenden zu kratzen und aufzurichten. Schnelle machte das Scherz, da er die praktische Seite ins Auge fasste, und blieb geflissentlich still liegen. Der Hund geriet jetzt sichtlich in die höchste Angst. Er sprang über den Körper seines Herrn hin und her, und als auch das nicht zu helfen schien, machte er plötzlich halt und lief, so schnell er konnte, nach der Försterei, von wo aus er eine Viertelstunde später bellend und dem Erntewagen weit voraus, zurückkehrte und sich halb närrisch gebärdete, als ihn Schnelle mit Lob überschüttete.

So war die Feistzeit des Rotwildes gekommen, und Förster Schnelle erhielt den Auftrag, ein auffallend starkes Gelttier abzuschießen, welches jeden Morgen und Abend auf einem am Fluss gelegenen schmalen Wiesenstreifen zu äsen pflegte.

Am Morgen des 23. August gedachte der Förster dieses täglich beobachtete Stück abzuschießen und begab sich gegen 4 Uhr früh, den Drilling über der Schulter, den treuen Hund hinter sich, ins Revier. Es hatte am vergangenen Abend geregnet, jetzt war es still und schön, nur stieg ein leichter Dunst aus dem Boden auf, als sollte es bei Tage noch ein Gewitter geben. Bei diesem Wetter kam das abzuschießende Gelttier sicher zeitig.

Schnelle musste einen größeren Umweg machen, um dann gegen Wind bei genügendem Büchsenlicht den Wiesenrand auf einem klar geharkten Pfade abzubirschen. Der Förster war ein Freund der Birschpfade, da er ihren Nutzen bei Ausübung des Forstschutzes oftmals erfahren hatte. Auch jetzt schlich er auf einem solchen quer durch ein Buchen-Stangenholz seinem Ziele entgegen; da hallten plötzlich zwei Schüsse unmittelbar nacheinander vom Fluss her durch den Wald.

Nur einen Augenblick stand der Förster lauschend, wie um sich Rechenschaft von dem Gehörten zu geben; dann setzte er sich, das Gewehr vom Halse nehmend, in einen kurzen Trab. Nicht weit, dann sagte er sich, dass er bei einem etwaigen Zusammentreffen ruhiges Blut haben müsse und nicht thöricht in die Gefahr hineintappen dürfe. Eigentlich war er im voraus fest überzeugt, dass die Kerle von einem Kahn aus nach der Wiese geschossen haben würden, aber es konnte doch auch anders sein, und deshalb war Vorsicht geboten. „Seltsam, pass auf!” flüsterte er seinem zu ihm aufschauenden treuen Begleiter zu, und der Hund schien diese Weisung zu verstehen. Sein Schritt bekam etwas katzenartig schleichendes. Die Stichelhaare auf dem Rücken sträubten sich.

Förster Schnelle bog von seiner Richtung auf dem nächsten Gestell ab. Es galt ihm, einen nach der Wiese am Fluss abfallenden Hügel zu erreichen, von dem aus er jene fast in der ganzen Länge übersehen und auch nach dem vermuteten Kahn hinter das Uferschilf schauen konnte.

Schnelle hatte auf dem Gestell fast den Holzrand erreicht; da schoss der Hund um eine Armeslänge vor und stand, die Augen starr, halbrechts nach der Wiese windend.

„Wahr dich, Seltsam”, flüsterte der Förster, dann schlich er, einige Büsche benutzend, um die Ecke und lag im nächsten Augenblick hinter einer jungen Kiefer der Länge nach auf dem Bauch, indem er mit seiner Linken den Hund neben sich niederdrückte.

Ein Hund im Jagdrevier – weitere spannende Geschichten Teil II