Auf Jagd zum letzten Mal mit meinem Jagdhund Teil I
Wenn er, sich Wind holend, um die Tümpel lief, sich dann sanft ins Wasser gleiten ließ, nur sein stoßweiser Atem und das leise Geräusch des Wassers zu hören waren, und man wusste, gleich würde er sie aufstöbern, und dann, wenn der Schuss sie aufs Wasser zurückgeworfen hatte, wusste man, er würde sie rausholen aus all der Wirrnis von Schilf und Schlingpflanzen, und er würde auch die rausholen, die in dieser Wirrnis versuchte, zu entkommen. Wenn er schließlich so vor einem saß, den noch zappelnden Erpel im Fang, und sein struppiges Haar war angeklatscht am Körper, er triefte vor Nässe und prustete heftig von der Anstrengung, und er richtete seine braunen Augen auf einen, dann musste man ihn einfach richtig gern haben.
Auch die Winterabende bei Vollmond waren immer sehr schön. Ax’ und ich, wir sind dann schon am Nachmittag losgezogen durch die kalte Winterluft auf harschem Schnee zur Dressler-Kanzel, wie wir sie nannten, weil er sie bauen ließ, und zwar ganz schön komfortabel. Nachdem wir einen ausgedehnten Gang hinter uns hatten, machten wir es uns in der Kanzel ordentlich gemütlich. Ax’ kriegte seinen Zwieback, und ich machte mir Tee und aß Brot und ein Stück Hartwurst dazu, und manchmal versuchte ich in einem Buch zu lesen, aber Ax’ ließ mich zumeist nicht zufrieden; er streckte seinen Kopf unter meinen Arm, und ich kraulte ihn dann. Es war sehr schön, so dazusitzen und Ax’ neben sich zu haben und ihn zu streicheln. Draußen auf der Wiese waren Hasen und suchten im Schnee nach Äsung, und Rehe zogen am Waldrand entlang. Wenn es dann dunkel wurde und der Mond hervorkam, öffnete ich das Fenster und sah hinaus, während Ax’ ruhig auf der Wolldecke lag und mich beobachtete.
An solchen Abenden habe ich manchmal zwei oder drei Füchse erlegt, und es war herrlich, Ax’ zuzusehen, wenn er über die Wiese jagte durch den staubenden Schnee, wie er sich die Füchse um die Behänge schüttelte und sie dann apportierte. Anschließend habe ich mir einen Glühwein gemacht, und Ax’ bekam einen Zwieback.
Draußen am Haken hingen die Füchse im Wind, und der fallende Schnee puderte sie ein, während wir uns in der Kanzel schlafen legten, und manchmal, nachts, spürte ich Ax’ kalte Nase an meiner Hand,
Überhaupt gab es nichts Schöneres, als allein mit Ax’ zu sein. Die Entenjagden mit Paul Dressier, unten an den Tümpeln, und die gemeinsamen Hühnersuchjagden und auch die Ansitze im Winter hier im Eichenwald, das alles war sehr schön, aber es lag dann immer ein geheimer Wettbewerb in der Sache, besonders bei der Hühnersuche, man ging und ging, und: „Voran, Ax’! Such, such!”, nur in dem Bestreben, recht viele Hühner hochzumachen und zu erlegen.
Die Alleinjagden waren ruhiger, besinnlicher: es gab keine Hast. Ich hatte Zeit, Ax’ bei der Arbeit zuzusehen, ich hatte Zeit, ihn an mich zu drücken und sein struppiges Haar zu kraulen, und ich hatte Zeit, den gaukelnden Flügen der Kiebitze zuzusehen. Ich hatte überhaupt mächtig viel Zeit, wir haben Pausen eingelegt, auch schon mal eine Runde geschlafen, unter irgendeinem schattigen Baum oder am Fluss, wo man bei dem Geräusch der Wellen, die sanft ans Ufer klatschten, so herrlich einschlafen konnte, und trotzdem hatten wir bis Mittag unsere sechs, sieben Hühner an der Jagdtasche.
Wenn Paul Dressier auch niemals richtig was Gutes über Ax’ gesagt hatte, so weiß ich doch, dass er ihn mochte, aber am besten hat Ax’ immer noch gearbeitet, wenn ich allein mit ihm war.
Vielleicht hatte Dressier damals auch recht, als er sagte, dass Ax’ keine Schärfe hätte. Vielleicht hatte Ax’ von Natur aus gar nicht das Zeug, so zu würgen, wie er würgte. Denn von Natur aus war er auch wasserscheu, und er lief anfangs sogar weg, wenn geschossen wurde. Aber Ax’ gefiel mir.
Ich setzte einfach viel Vertrauen in ihn, und das muss er wohl gespürt haben. Er hatte ein ausgeprägtes Feingefühl, und wenn er auch eine Menge Dummheiten gemacht hat, so hat er doch nie die gleiche Dummheit wiederholt.
Es hatte anfangs nichts genützt, Ax’ mit ans Wasser zu nehmen, wo die anderen Hunde geübt wurden; er ließ sich nicht dazu animieren, reinzugehen. Einmal schoss ich an den Tümpeln eine Ente. Sie klatschte keine zehn Schritte vom Ufer entfernt aufs Wasser – und ich hatte nicht bedacht, dass ich mit Ax’ gar nicht rechnen konnte. Er sprang wie verrückt am Ufer hin und her, wie immer, aber mehr als die Pfoten machte er sich nicht nass.
„Na los, geh rein! Mach, mein Freund, geh und hol’ sie raus!” So habe ich mit ihm gesprochen. Ich hatte mir angewöhnt, mich mit ihm regelrecht zu unterhalten, weil er sensibel war und den Unterhaltungston mochte, und weil ich ihn selber mochte. Aber er ist trotzdem nicht reingegangen , und ich kriegte es ganz schön mit der Wut, und dann bin ich selbst reingegangen und habe sie rausgeholt, und Ax’ stand am Ufer, und wahrhaftig, er sah mich ganz verschämt an. Ich habe ihm die Ente unter die Nase gehalten und gesagt: „Hier, hier, ja hier, das ist sie, du Mistkerl!”
Das hat er sich wohl gemerkt. Nicht das Wort, aber die Verächtlichkeit, mit der ich gesprochen habe; denn Ax’ war sensibel und ausgesprochen feinfühlig. Feinfühliger als ich glaubte, und er vertraute mir, und er schien zu wollen, dass ich ihm vertraute. Von da an ist er ins Wasser gegangen.
Seine Angst, wenn es knallte – weiß der Teufel, woher er sie hatte -, überwandt er, seitdem er anfing, mir zu vertrauen. Ich saß auf einem Steinblock, hier im Eichenwald. Ax’ saß neben mir. Da fiel vor uns im Baum eine Taube ein. Ich bekam Lust, sie zu erlegen, und ich wollte Ax’ an die Leine nehmen. Aber dann fiel mir ein, dass er anfangen würde, daran zu reißen, wenn ich bloß das Gewehr hob, und so sagte ich zu ihm, und ich hob dabei langsam das Gewehr: „Wenn du meinst, du müsstest jetzt abhauen, dann hau ab. Du siehst ja, ich halte dich nicht.” Wie man so, wenn man allein ist, zuweilen mit dem Hund spricht. Seine Augen traten ängstlich hervor, als er sah, dass ich das Gewehr in Anschlag nahm, und ich sprach weiter: „Du hast Angst, also geh doch. Hau ruhig ab. Ich warte solange.”
Seine Augen waren immer noch ängstlich, aber er blieb. Ich nahm die Hand vom Abzug und streichelte ihn und sagte: „Also willst du bleiben? Aber es wird furchtbar knallen, alter Freund. Ich sag’s dir nur. Also …” Ich schoss, die Taube fiel, und Ax’ lief nicht weg.
Ich habe mal einen Dresseur reden hören. Der sprach von „Sieg” und von „gewonnen”, wenn er seinen Hunden seinen Willen aufgezwungen hatte. Ich hatte bei Ax’ auch „gewonnen”. Ich hatte Ax’ Vertrauen gewonnen, und ich habe alles damit aus ihm herausgeholt. Alles, und noch mehr als alles.
Ax’ war eine Töle, anfangs. Jawohl, eine richtige unbrauchbare Töle. Aber niemand wusste, wie feinfühlig er war. Nicht einmal ich. Niemand wusste, was Vertrauen aus ihm machen würde. Ich auch nicht. Es war ein Glück, dass ich Ax’ mochte. Wahrhaftig, das war es!
Es war. Jawohl, es war. Denn dieser Gang hier zum Eichenwald, es war unser letzter. Paul Dressier hatte mich verstanden, als ich sagte: „Wir gehen auf Jagd.”
Wir waren auf Jagd. Schade, einen Bock hätte ich noch gern gestreckt, heute. Oder eine Taube. Jetzt stand die Sonne flach am Himmel, und die Bäume warfen lange Schatten. Es war immer noch drückend. Ich wischte mir mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. Es war nicht mehr der kalte Schweiß vom Vormittag. Ich schwitzte einfach. In meinem Rücken spürte ich die Flasche durch den Rucksack. Dieses verdammte Zeug; ich brauchte es nicht. Ich brauchte mein Gehirn nicht einzunebeln. Ich kramte die Flasche hervor, entkorkte sie und drückte sie ins Grabenwasser. Sie gluckerte voll Wasser. Wasser auf den verdammten Fusel, und ich ließ sie absaufen.
Dann ging ich mit Ax’ am Graben entlang weiter. Armer alter, treuer Freund! Er zottelte hinter mir her, mit hängendem Kopf, und seine Augen waren stumpf und stur auf meine Beine gerichtet. Er wimmerte leise. Die verfluchten Geschwüre fraßen wieder an ihm. Weiter hinten querte ein Schatten die schrägen Sonnenstrahlen, die durch die Bäume fielen. Klatsch, klatsch, klatsch, machte es, dann ruckte ein grüner Zweig: Da saß sie, die vom Feld zurückgekehrte Taube.
Aber jetzt war es zu spät. Die verfluchten Geschwüre fraßen wieder an Ax’. Er wimmerte, ich wollte weiter. Ob er wusste, dass wir Abschied nehmen mussten? Bei seinem Feingefühl, warum nicht?
Wir näherten uns dem Stein, auf dem ich gesessen und die Taube geschossen hatte. Neben dem Stein war ein Loch ausgehoben. Daneben türmte sich die frische Erde. Ich hatte es gestern Nachmittag ausgehoben. Hier sollte es sein. Hier, wo ich zum erstenmal Ax’ Vertrauen gewonnen hatte. Ich hockte mich neben Ax’ hin und drückte ihn an mich und streichelte seinen struppigen Kopf. Ax’ hörte auf zu wimmern. Er ließ den Kopf hängen und blickte stur auf den Boden.
„Hör mal, mein guter Alter”, sagte ich zu ihm.
„Ich kann’s nicht länger mit ansehen, dass dich die verfluchten Geschwüre zernagen. Du sollst nicht daran verrecken. Die machen dich ganz, ganz langsam kaputt. Die Schmerzen sollst du nicht länger mitmachen. Nein, das nicht. Hör mal, eine schnelle Kugel ist besser. Verlass dich darauf, du merkst nichts davon.”
Ax’ ließ den Kopf hängen und blickte teilnahmslos vor sich auf den Boden. Ich drückte ihn fest an mich, dann stand ich auf und ging auf den Stein zu. Ich merkte, dass Ax’ nachkam, und ging weiter.
Als ich mich umdrehte, saß er neben dem Loch, das ich gestern Nachmittag ausgehoben hatte. Er saß ganz ruhig da und ließ den Kopf hängen, und seine Augen blickten glanzlos und stur auf den Boden.