Mit Hunden durch dick und dünn – spannende Jagdgeschichten Teil III

Mit Hunden durch dick und dünn – spannende Jagdgeschichten Teil II

Da, aus der Ferne wieder das Geläut, es kam näher auf uns zu. Hatzlaut wechselte mit Standlaut. Zwischen den Hundestimmen plötzlich das markerschütternde Klagen einer Sau. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte, gab den anderen Zeichen und sprang zurück in die Finsternis der Dickung, so schnell es deren sperrige Enge zuließ, dem Bail entgegen.

Dann plötzlich war ich mittendrin, Bestandteil des Geschehens. Vor mir auf fünf Schritt die offenbar müdegehetzte Sau, deren Kampfeslaute mit schrillem Klagen wechselten, wenn ihr einer der Hunde in die Keulen fuhr. Es waren ihrer drei: Max, Marotte und der Deutsch Langhaar. Im Tumult dieser Szene fasste mein Schuss nur Holz und hatte zur Folge, dass die Sau ausbrach, um eine noch dichtere Stelle zu gewinnen.

Bevor sie in diesem Verhau verschwand, erwischte ich m Nachspringen einen Hinterlauf, hob sie aus, brüllte meinen Hunden, die nun vorn an den Tellern hingen, das Kommando zum Auslassen entgegen, zog den Frischling gegen den Widerstand des Langhaar-Rüden (der ja das Kommando natürlich nicht kannte) an mich und fing ihn mit dem Waidmesser ab.

Nun durften die Hunde nach Herzenslust zausen, ihre Beute in Besitz nehmen, ehe ich mich anschickte, die 40 Kilogramm aus der Dickung zu ziehen, was recht beschwerlich wurde, weil der fremde Rüde, immer wieder •m Pürzel fassend, in die entgegengesetzte Richtung strebte. Schließlich war auch das geschafft. Max, dessen schon weißes Barthaar bis zum Hals rot verfärbt war. machte ein (vermenschlicht formuliert) geradezu glückliches Gesicht, als ich ihn für seine jüngste Heldentat nochmals ausgiebig abliebelte. Er hatte sich glänzend revanchiert.

Eigentlich wollte ich meine Erzählungen chronologisch ordnen, doch lagen mir die Geschehnisse der letzten winterlichen Jagdtage so „warm” auf der Zunge, dass ich nicht umhin konnte, sie vorweg zu nehmen. Nun, da die stille Zeit begonnen hat, finde ich Muße, in Erinnerungen zu kramen, die länger zurückliegen.

Als ich 1971 nach zweijähriger Verwendung in der Bonner Ministerialbürokratie endlich wieder Heideluft schnuppern durfte, drehten sich meine ersten außerdienstlichen Gedanken um die Frage, wie ich wohl zu einem brauchbaren Hund kommen könnte. Dem Airedaleterrier seit Jahrzehnten verbunden, erwarb ich eine vier Monate junge Hündin edlen Geblüts, die Mara.

Nie wieder würde ich einen Welpen übernehmen, der älter als zwei Monate ist und seine Sozialisierungsphase in der Zwingergemeinschaft mit seiner Hundefamilie erlebt und erlitten hat. Als schwächstes Glied dieser Gemeinschaft (bestehend aus Großmutter, Mutter und physisch stärkerer Schwester) hatte sich die kleine Hündin einerseits voll unterordnen müssen und andererseits den an sich ja artfremden Menschen nicht als dazugehörig einzuschätzen gelernt. Sie war zwar nicht ausgesprochen scheu, aber völlig kontaktarm und verklemmt gegenüber jedermann.

Bei Begegnungen mit anderen Hunden dagegen schaltete sie sofort um, wurde frei und fröhlich. Wie leicht hatte ich es früher mit Welpen, die ich im zarten Alter von kaum acht Wochen übernahm. Die Fehlprägung (auf Hund statt auf Mensch) mühsam abzubauen, forderte geduldiges Einwirken über Jahre. Ganz frei wie ihr in seiner ungestümen Herzlichkeit und bedingungslosen Führertreue mir verbundener Sohn Max wurde sie jedoch nie. Immerhin schaffte ich es, diese „verkorkste”

Hundedame durch sämtliche drei Schutzhundprüfungen zu führen und sie zu einem brauchbaren Jagdhund auszubilden.

Irgendwann kam mir dann die ketzerische Idee, sie mit einem Deutschen Jagdterrier zu verbinden, um einen etwa wachtelgroßen Allroundhund zu züchten, der auch noch Schutzhund-Maße aufweist. Nach etlichen Fehlversuchen gelang es einem etwas übergroßen, kurzhaarigen Rüden, den Deckakt zu vollziehen, nachdem ich durch fleißige Spatenarbeit (Bau einer Art Schützenmulde) dem müden Recken die 15 Zentimeter Größenunterschied ausgeglichen hatte.

Neun Wochen später: Ich unterhielt mich gerade mit einem meiner Mitarbeiter, als mich der sonst so korrekte Major mit dem plötzlichen Ausruf „Herr Oberst, bei Ihnen piept es!” erschreckte. Auf meinen fragenden Blick beeilte er sich, das drohende Missverständnis auszuräumen, indem er ergänzend hinzufügte: „Drüben, in Ihrem Zimmer!” Nebenan, mitten auf dem Teppich, lag der erste Welpe.

Nun schnell umgebettet auf die Sauschwarte in der Ecke, ein paar alte Decken aus der Kleiderkammer dazu, und während um meinen Schreibtisch das Dienstgeschäft weiterlief, brachte Mara ihren ersten Wurf zur Welt, der abends per Pappkarton nach Hause transportiert wurde.

Die 6/2 Welpen gediehen prächtig, entwickelten sich nach Farbe, Größe und im einheitlich knappen Rauhhaar (mit Bart) recht ausgeglichen. Interessant war, dass die Hälfte an den Hinterläufen Wolfsklauen aufwies, die in den Linien beider Elterntiere bislang nicht vorkamen.

Als sie drei bis vier Wochen alt waren, begann ich mit den ersten Testversuchen über ihre Veranlagung: Händeklatschen bei der sich balgenden Welpenschar und andere extreme, aber nicht zu stark belastende Geräusche zur Feststellung etwaiger Empfindlichkeiten: spielerisches Kneifen und Schütteln in Seite und Rücken, um Andeutungen von Wehr- oder Meideverhalten zu erkennen; das Kellertreppenspiel (wer erklimmt die Treppe als erster usw.); Verhalten der einzelnen Welpen, wenn sie auf einen Tisch (Podest) gesetzt wurden; mit 6 Wochen das Zerren an einem alten Sack (Folgewille, Beutetrieb); Aufnehmen und eventuell schon Tragen von kleineren Gegenständen wie Handschuh oder lederne Bringsei (stets einzeln, auch an der Angel bewegt); Konfrontation mit lebendem Hauskanin (hinter Gitter), um den Grad des Interesses, vielleicht auch schon erstes Verbellen zu erkunden; Futterschleppe; aufgespannter Regenschirm und andere Testeinlagen, bei denen jedoch vor jeder zu stark belastenden Übertreibung gewarnt sei.

Daneben gaben natürlich die Beobachtungen der sich frei bewegenden Welpenmeute bezüglich ihres Durchsetzungswillens, des Nasengebrauchs, des Temperaments, der Verselbständigung, der Härte usw. manchen Einblick. Nie zuvor hatte ich bei meinen reinrassigen Airedale-Würfen bessere Ergebnisse.

So überraschte mich auch die spätere Entwicklung nicht. Die vier jagdlich geführten Rüden boten bald ausgezeichnete Leistungen und natürlich mehr Verwendungsbreite mit ihren im Schitt 50 Zentimetern Schulterhöhe als ihre kleinen Vettern. Allerdings waren das nun keine Erdhunde mehr.

Ich behielt einen recht kompakten, kräftigen Welpen, den Max. Der hatte noch sein Milchgebiss, als er auf dem Übungsplatz schon am Mann arbeitete und einen fast perfekten Schutzdienst zeigte. Selbstverständlich wurde er nicht über den Wehrtrieb, sondern den Beutetrieb aufgebaut, was meines Erachtens gerade bei Jagdhunden unerlässlich ist. Nur so gewinnt der Junghund frühzeitig (möglichst vor der jagdlichen Ausbildung), ohne überfordert zu werden, Spaß an der Sache, der mit zunehmender Reife auch das spätere Wehrverhalten einbindet und damit ernsthafte Züge erhält. Es ist übrigens lediglich eine Frage der erweiterten Ausbildung (wie sie z. B. alle Polizeidiensthunde erfahren), ob ein sogenannter Schutzhund nur in den vorgehaltenen Juteärmel oder auch den ungeschützten Arm eines normal bekleideten Menschen fasst.

Max allerdings bedurfte nicht des zusätzlichen Trainings. Als ihm mal ein junger Mann, der keine Schutzkleidung trug, zu nahe kam, nachdem er ihn eine halbe Stunde zuvor durch Drohgesten gereizt hatte, stand der Jüngling plötzlich in Unterhose da. Mein Hund war damals zehn Monate alt. Später verhielt er sich (und darin liegt ja der Sinn unserer Schutzhundausbildung) disziplinierter.

Einmal abends wurde ich durch wütenden Standlaut meiner beiden Hunde vor unserem Hause aufgeschreckt und dachte zunächst an eine Katze im Apfelbaum. Als ich hinzueilte, stand da ein riesiger Kerl an die Hauswand gedrückt, der sich nicht zu bewegen wagte und in gebrochenem Deutsch etwas von Wohnungssuche zu erklären versuchte. Er hatte keine Schramme abbekommen. Zum Glück blieb er standfest und wehrte sich nicht.

Ein paar Monate danach erneute Aufregung. Max stand mitten im schönsten Rosenbeet des Vorgartens und verbellte dort anhaltend. „Pfui, dummer Hund, lass den Igel in Ruh“, rief ich, aber er reagierte nicht. So musste ich ihn wohl oder übel abholen. Das Bild werde ich nie vergessen: Da stand mein Rüde mit beiden Vorderläufen auf einer „Schnapsleiche“, die sich ausgerechnet mein Blumenbeet zum Ausnüchterungsschlaf ausgesucht hatte. Er verbellte ausdauernd, ohne zuzufassen, obwohl der Betrunkene immer mit dem Arm herumfuchtelte und fröhlich dabei lallte.

Die Ergebenheitsgeste des am Boden liegenden Mannes hatte hier die gleiche beißhemmende Wirkung wie in einem anderen Falle, als ein neuer Müllmann, von seinen Kollegen gezielt durch die falsche Gartentür auf unser Grundstück geschickt, von Max gestellt wurde. Dieser Mann versuchte in seiner Angst, wild um sich schlagend und tretend, den Hund abzuwehren und hatte Glück, dass der Rüde ihm im ersten Zugriff nur den Arbeitshandschuh auszog.

Danach stolperte der Mensch ausgerechnet über das Schild mit der Aufschrift „Vorsicht, bissiger Hund” und fiel um. Für Max war der so deutlich Unterlegene nun nur noch zu verbellen.

Max hat Nerven wie Drahtseile. Bei meinen Hundedamen muss ich da geringe Abstriche machen. So war es überhaupt kein Problem für uns, als vor Jahren mein damaliger Bundesgrenzschutz- und heutiger „Deutsch- Drahthaar-General“ Paul Kühne anfragte, ob ich mit Max an einer BGS-Werbeveranstaltung in Einbeck teilnehmen könnte. Der Hund sollte – neben anderen, fast schon zirzensischen Darbietungen – mit mir im Hubschrauber über den vom Publikum umrahmten Sportplatz fliegen, den „flüchtigen Verbrecher” auf dem Erdboden erkennen und, mit der Landung freigegeben, diesen einholen, fassen und stellen. Wir übten einmal kurz im heimatlichen Standort vor, es musste klappen.

Doch eine Woche vor dem großen Auftritt hatten wir Pech: Meinem Jagdfreund Heinrich war die Bullenherde von der Weide ausgebrochen. Ich fuhr zufällig vorbei, als die zehn Kolosse über die Felder stampften, unaufhaltsam der Gerdau entgegen, auf deren anderem Ufer eine friedliche Herde jungfräulichen weiblichen Rindviehs graste. Schon spritzte das Wasser, und jenseits krachte der Weidezaun, als die vordersten Bullen dampfwalzengleich den Fluss annahmen. Andere zögerten noch vor dem Wasser.

In dem Moment gab ich den Max frei, der dieses „Großwild” nur einmal ärgerlich erlebt hatte, als er mir einen Rehbock bergen helfen musste, was den Schwarzbunten nicht gefiel. Mein Hund flog den verdutzten Bullen entgegen, sprang dem ersten in voller Fahrt an den Hals, fiel ab, griff in die Haxen und schaffte es, dass der noch diesseitige Teil der Herde abdrehte, um sich danach in den heimatlichen Stall treiben zu lassen.

Mit der nicht ganz so aggressiven Mara gelang es uns anschließend, die sich jenseits bereits verlustieren- den Bullen von der Weiblichkeit zu trennen und auch sie auf den Heimweg zu bringen. Zu Hause stellte ich dann fest, dass der Rüde den linken Vorderlauf stark schonte. Er hatte sich den Außenzeh beim Aufprall verrenkt, eine langwierige Verletzung. Mit einigen Bedenken und der schmerzlindernden Spritze meines Tierarztes starteten wir dann sieben Tage später zu unserem Werbeauftritt.

Nach einstündigem Flug landeten wir in Einbeck. Dort gönnte man uns noch eine Verschnaufpause, und schon verkündete der Mann am Mikrofon die „einmalige Sensation”. Die Alouette stand mit laufendem Rotor bereit. Wir tauchten drunter weg und nahmen den Platz hinter dem Piloten in der Viersitzer-Machine ein, deren Plexiglas-Kanzel das Gefühl vermittelt, als hinge man zwischen einigen Metallrohren frei in der Luft. Wer das Geräusch gerade dieses Helikoptertyps kennt, wird sich vorstellen können, was es für ein Hundeohr bedeutet. Nun, als wir über dem Platz schwebten, war es nicht mehr so schlimm.

Ein anderes Problem machte mir Kummer: Man hatte der Einfachheit halber die Tür der Kanzel am Boden zurückgelassen. Bei den schneidigen Kurven, die der Pilot nun vor dem staunenden Volk unter uns flog, wurde mir etwas mulmig, musste ich mich und dazu den Hund auf meinem Schoß doch ernsthaft festhalten, um nicht zu früh auszusteigen. Dann zog er die Maschine noch einmal hoch. Unten über den Sportplatz lief jetzt unser „Bösewicht” (Figurant oder Scheintäter). Max erkannte die zwergenhaft klein erscheinende Gestalt sofort, was er durch wildes Verbellen anzeigte.

Die Maschine stieß nun wie ein riesiger Raubvogel der Erde entgegen, fing sich kurz über dem Boden und setzte zur Landung an. Noch etwa zwei Meter in der Luft hängend, gab ich den Hund frei, der am liebsten schon bei 50 Meter Höhe abgesprungen wäre. Max tauchte unter dem Hubschrauber weg, drehte in voller Fahrt eine halbe Runde gegen den Wind und hing im nächsten Augenblick schon dem Scheintäter im Arm.

Er biss sich fest und ignorierte mein Kommando zum Auslassen, da er offenbar durch die zuvor erlebte starke Belastung nur so seinen Aggressionsstau abbauen konnte. Ich nahm ihn dann ab, und wir verließen unter dem Beifall der Zuschauer den Platz. Am nächsten Tag erst musste er wieder hinken.

Wie das meistens so geht meine Hunde wurden mit den Jahren immer besser. Doch ließ es sich errechnen, dass sie irgendwann den harten Anforderungen der Drückjagden nicht mehr voll gewachsen sein würden. Ich sorgte mich zunehmend um das Nachwuchsproblem. Mara hatte noch einen reinrassigen Airedale- Wurf gebracht.

Danach aber klappte es mit der Hitze nicht mehr richtig. Alljährlich deutete sie zwar durch die bekannten Symptome der ersten Woche ihre Bereitschaft an, ohne in die kritische Phase zu kommen und also einen Deckakt zu ermöglichen. Hormonbehandlungen brachten auch keinen Erfolg.

Inzwischen stand sie im achten Lebensjahr. Als sie wieder soweit war, ließ ich mir etwas einfallen. Wenn die künstliche Besamung bei anderen Haustieren funktioniert, warum nicht auch beim Hund, dachte ich, ohne natürlich in diesem Falle zu wissen, ob die wieder nur knapp angedeutete Hitze der Hündin zur Eireife führen würde.

Kurzum: Ich ließ mir aus meiner hiesigen BGS-Krankenabteilung ein Sortiment von Geräten vorführen, die möglicherweise für mein Vorhaben geeignet erschienen. Die Klistierspritze schien mir dabei weniger brauchbar als ein wohl von einem Gynäkologen-Besteck stammendes Instrument mit fast acht Zentimeter langer Plastikkanüle. Es war der 14. Tag, seit Mara rot zu färben begann; da wagte ich, nach gelungenem „blinden” Versuch, das Experiment.

Ich stellte meinen Max auf den Tisch und molk ihn ab, führte das gefüllte Gerät der Hündin ein und hatte nach 64 Tagen einen vollen Wurf strammer Welpen, die zu uneingeschränkt brauchbaren Jagdhunden heranwuchsen. Eines dieser Produkte behielt ich, die Marotte.

Meinem Tierarzt verschlug es die Sprache, als ich ihm berichtete, wie ich da in sein Handwerk gepfuscht hatte, um zu erreichen, was ihm nicht gelungen war. Somit habe ich wieder eine Hündin, die dafür sorgen wird, dass meine großen Jagdterrier nicht aussterben, sondern weiterhin zur Bereicherung des Waidwerks in der Lüneburger Heide beitragen.