Verhandlungen um einen Wachtel hatten sich an Überforderung zerschlagen. Ein Großer Münsterländer, mein Schwarm, war hier in Österreich nicht aufzutreiben. Einen ungemein schnittigen und guten, auch in Farbe und Zeichnung – Fliegenschimmel mit Mohrenkopf – gefallenden Kurzhaar wollte sein Besitzer, Deutschkrainer, Hauptmann a. D., nicht anders hergeben, als mir schenken; ich nicht anders nehmen, als für einen dem augenleidenden Landsmann wegen grober Visierung besonders zusagenden Drilling eintauschen. Über diesen gegenseitigen chinesischen Nötigungen erkrankte der brave „Greif’, legte sich hin und starb.
Ein wirklich ganz hervorragender Deutsch-Langhaar, dessen schöne, flotte und verläßliche Arbeit ich mehrmals bewunderte, kriegte unter schon obschwebendem Geschäft bei seinem etwas sehr nachlässigen Herrn Eiswasser und noch obendrein Zugluft auf Überhitzung, schwere Lungenentzündung, Schluss. Mehr fast als der wenig anhängliche, Wechsels und ähnlicher Schicksalsschläge offenbar gewohnte Eigentümer trauerte ich um den prächtigen Rüden, in den ich mich schon als in meinen Gefährten hineingedacht.
Neue Umschau! Der hochberühmte „Artus” des Herrn Weintögel-Melk war mir mit einigen 700 RM unerschwinglich; ein vorgeführter Pointer, an sich schon minder erwünscht, erwies sich als nicht mal ein Zehntel seines niedrigen Preises wert, eine kapitale Langhaar – „Lady”, Bild von Hund, Wurfschwester des Frühverendeten, als unheilbar verbummelt, eine zierliche kleine Griffonne, feinnasig, durchnervt, geschmeidig, führig, als außerehelich, unstandesgemäß, rasseschänderisch angebrütet. Und während noch die angesponnenen Fäden um einen angeblich ausgezeichneten Irischen Setter, einen mehrfach bepreisten Pudelpointer und einen wärmstens empfohlenen Kurzhaar spielten, kam ich auf die Hauptjagd zum Nachbar nach M. Man mußja die Beziehungen auch mit der Flinte pflegen.
Reichlich viele Schützen, wie das hier schon üblich, vor-mittags in den Waldtreiben aber auch reichlich Hasen und Hähne, den Fuchs, den vorschriftsmäßig zweimal gefehlten, nicht zu vergessen. Mittags beim Taschenfrühstück im dunstenden Hochholz musterte ich die teils zitternden, teils fadenziehenden, teils grunzenden, teils gerade dreiläufigen Vierläufer. Ein sehr schnittiger Kurzhaarschimmel war da, dann ein feister „Pointerpuder – weil weitaus mehr Pudel als Pointer -, der mir wohlbekannte, kapitale, aber gefährlich bösartige, eisblaugraubraune Drahthaareines anderen Nachbarn. Endlich, neben verschiedenen Herren und Damen der Rasse Canis promixtus maledictus interficiendus Geilfus, noch ein bullbreitbrüstiger, bis auf Maske, einseitige Rücken- und Schlussplatte und verwaschene Fliegen fast weißer Drahthaar, den und dessen Führer, einen grobknochigen Bauer, früh beim Treffen schon gesehen zu haben ich mich nicht erinnern konnte. Traurig und fremd, stumpf und struppig, mit suppigem Aug’ und hohlem Kreuz stand er an hängender Strippe im strippengrauen Novemberwald; und an ebensolch grauer, nur dreifach genommener Strippe hing auch seines Herrn bei aller Liebe, Gerechtigkeit und Milde nicht anders als schmauch-schmierschwarzer Rostprügel zu nennendes, wahrscheinlich postengeladenes, mit der Mündung gegen die Herzgruben der Mitmenschheit gerichtetes Gewaff: dasselbe, das den Fuchs drunten auf dem bequemen Straßenpaß so glänzend vorbeigedoppelt, nachdem sein glücklicher Inhaber, wenige Minuten zuvor erst von einem pflichtigen Begräbnis nachgekommen, in aller Eile irgendwie eingereiht worden. Begräbnis, ja; danach sahen Jäger, Hund, Flinte und die ganze strippengraue Aufmachung aus. Weiter!
Später, am Nachmittag, gegen Abend schon, nachdem ich mich bei einem weiteren Holztreiben über die hier wirklich ganz unverantwortliche Rehschießerei wieder mal braun und bunt gegiftet – ein guter aufhabender Bock, der die längste Weile vor mir herumgesichert, von mir selbstredend passiert, vom Standnachbar auf wüste Entfernung befunkt, war beim Auslaufen des anschließenden Kreises ganz zufällig vom Strippenmann oder vielmehr nach aller Regel vom mächtig seitab im Holz anziehenden Hunde mit einem einzigen Schrotkorn im Halse verendet gefunden worden – also gegen Abend und unausweichliches Schüsseltreiben hin wurden noch einige herzlich schwach besetzte Kessel genommen.
In einem der Kessel saßen drei glücklose Krummen. Einer wurde auf die Löffel gestellt, einer mit vielen Doppellagen verabschiedet, der dritte angebleit, mitten im Kreise von drei oder vier teils gelösten, teils losgerissenen Vertretern der bewussten Rasse, der Pudelpointer dabei, in schönem olympischen Wettlauf erhetzt, ergriffen und unter Grollen und Sterbensgequäk nach allen Regeln der Schweinerei langgezerrt. Oft genossenes Schauspiel, immer so anziehend und erbaulich, streng nach des großen Aristoteles Forderung Furcht und Mitleid erweckend; aber dieses hier nahm eine höchst überraschende Wendung.
Von ganz weit drüben her, auf dem vielleicht noch fünf-hundert Schritte betragenden Durchmesser des Kreises kam es mit eins wie ein Strich schimmelweiß angefegt: der Strippenhund, wahrhaftig, der schwermütige abseitige Drahthaar des Begräbnismannes! Wie ein lichter Rachegott über und unter die stümpernden Mischlinge herein und hinein; aufheulende Kanaille mit ein paar Bissen, Keilerschlägen geradezu, auseinander geworfen; Hasen erledigt, hochaufgenommen und auch schon, ohne einzigen Quetsch und Knätsch, ohne auch nur eine Sekunde zu trödeln, in gleicher windender Fahrt, Gräben und Bach hoch überfallend, zurück und hinüber zu seinem Führer. Arbeit von noch nicht anderthalb Minuten, während derer ich, vom prachtvollen Bilde gebannt, von einer inneren Stimme angehalten, den schönsten Sack im Treiben bildete. Das war ein Hund! Das wäre ein Hund. Das wird mein Hund. Das würde mein Hund.
Das wurde mein Hund. Es ging ganz glatt; als hätte es von Vorsehung her schon so sein sollen. Dass ich auf diese Jagd gelaufen; dass der Strippenmann trotz Begräbnis gekommen . . .
Durch Kundschafter, den Pointerpudelvater und den Nachbar mit dem bösen Stichelhaar, tastete ich die Gelegenheit ab. Erfuhr auch schon einiges: Hund unbekannter Herkunft, wegen Gelehrigkeit und ausgefallener Farbe „Zirkushund” geheißen, seit wenigen Wochen erst bei seinem damaligen Herrn, dieser nur Gelegenheitsjäger und für einen vernünftigen Handel wahrscheinlich zu haben. Auf dem Einmarsch zum Schüsseltreiben hatte ich ihn, den Strippenmann, gutmütigen Bauer, bereits bei der Strippe.
„Ein schöner Hund, den Sie da führen.”
„Ja, geltens; und so viel guet wi’ar is, so viel guet. Ham- sja eh g’sehn, hams net g’sehn, den Hasen, wiar’n bracht hat? War do Klass?”
„Das glaub ich, dass das Klass war; da gibt’s nix. Na, und vorstehen?” Die Antwort gab mir prompt der jetzt freilaufende Hund selbst. Eben stand er bombenfest in der bebuschten Böschung des Bachbettes; wahrscheinlich Fasan. „Weiter! Vor!”, sagte ich. Auf meinen Befehl umschlug er erst schnell das Wild, dass es nicht laufe, dann stieß er die Henne in den dämmernden Spätherbstabend heraus. Der Bauer machte große Augen. „A so sagt man dös zu eahm, dös hab i a no net gwißt. Wie der auf Ehna horcht!” „Sie haben ihn wohl noch nicht lange?” „No, so a sechs, a simm Wochen halt.”
Dem folgte eine etwas dunkelverworrene, nicht ganz gereimte, irgendwie bruchstückhafte oder sprüngige Geschichte; Kiebitze, die von einem brauenden Geschäfte vernommen („den Zirkushund mecht der Barankaffa”…) hatten sich auch schon herangeklebt, hörten und störten. „Von wem also haben Sie ihn eigentlich?” „Vom Wimmer halt.” Es klang seltsam geschämig. „Der hat ihn mir geben; weil er ihm halt leid tan hat, und sölber hat a si’hn net g’halten wollen.” „Vom Wimmer in Aichbach”, erläuterte einer der Markthelfer; „der Herr Baran is eh durten scho auf der Jagd g’wesen, durten, no, wo’s Fohringakreuz steht, der Herr Baran kennts eh.”
Ja, auf der Jagd in Aichbach drüben, beim Besitzer des bösen Drahthaarigen, war ich allerdings schon wiederholt gewesen; aber kennen tat ich den Wimmer darum nicht, des Namens und der Wegkreuze gibt es Abertausende in Österreich. Gleichgültig, ich mimte tiefgehende Ortskenntnis.
„Natürlich; also vom Wimmer; und warum hat er denn dem Wimmer so Leid getan?”
„No, so; wal er sie denkt hat, könnt do am End a bisserl a Rasshund sein.” Aha; also verständnisvoller Nichtjäger war der wackere Wimmer, und Tierfreund dazu; hatte die seelischen Entbehrungen, Nöte und Sehnsüchte des Hundes nicht mitansehen, die Folgen solcher Unterdrückung nicht verantworten wollen. Brav, sehr brav; der edle unbekannte Wimmer stieg in meiner Achtung, eines Tages musste ich unbedingt hingehen und ihm die Hand drücken.
„Und da hat er den Hund also Ihnen gegeben, weil Sie Jäger sind?” „Ja; aba i kemm hoit aa z’wen’g außa, a Hund wie der g’höret hoit jeden Tag ins Revier.”
Wie viel Einsicht doch unter solch schlichtem Gewand und Verstand; da waren wir ja schon am Ziel – und kamen dem Hauptpunkt sogleich noch näher. „Eigene Jagd hab i kane; Ausgang bei insre Pächter. I bin von Gries in der Oberndorfer Gemeinde. Kaiblinger ist mein Name. Eigens G’wihr hab i aa kans, dös dahier, de Praxen hab i mir z’leicha gnumma.”
„Na bravo. Sie, Herr Kaiblinger: da kann ja uns allen mit einem Schlag geholfen werden: Ihnen, dem Hund, und mir,” „Wia manens?”
„So mein ichs: verkaufen Sie den Hund?” Aber einen kleinen Widerhaken musste solch Bauernhandel doch haben; das gehört sich schon von Standeswegen dazu, anders wars gar nicht richtig. Mein Freund blieb gutgespielt stehen.
„Wia sagens? Vakaffa, den Hund? In Hund vakaffa? Ah, dös tu’r i nö-öt.”
„Ich meine ja auch nicht: richtig verkaufen. Nicht gegen Geld. Anders vielleicht.” Wieder hielt es ihn an. „Net für Geld? Für was denn nacha?” „Darüber ließe sich ja reden.” „No – was tatens mir denn nacha geben? Für den Klaßhund?” „Nun, zum Beispiel – ich sage nur: zum Beispiel – ein Klaßgewehr.”
Jetzt kam zum Ständern schon das Kratzen. „A G’wihr?”
„Ja, oder was Sie wollen, auch was andres. Natürlich müßte ich mir den Hund noch erst näher anschauen, untersuchen, prüfen. Also zum Beispiel: ei Perspektiv, einen Zuwizahrer.” Entschiedene Ablehnung. „Ah na, dös is nix. Dös brauch mi net.” Und mit plötzlicher Entrüstung: „Aba Sie, i sax Ehna: da Hund is Klaß. Klaaß. Da gibt’s nix.” „Ohne Zweifel.” „A G’wihr; A G’wihr?
Was tat i nacha mit an G’wihr; wo i so net außi kimm?” „Vielleicht kameten Sie dann eben mehr außi. Es macht Ihnen mehr Freude, ein guter Schütz mit guter Waffe ist überall gerne gesehen.” „Des scho; des scho; des laß i scho zu. Aber. . .
Einer der Kiebitze, der mit dem Pointerpudel sekundierte: ,,No sixt, Kaiblinga; der Herr Baran gibt dir a guets G’wihrl, kriegst amal ganz was Extraig’s, da Herr Baran, das hat ma schon vazähl’n g’hört, hat lauta feine G’wihr, an ganzen Kasten voll.”
Ich suchte einen Hund Teil II – weitere Spannende Jagdgeschichten