Ein Gebrauchshund soll nicht nur sklavisch dienen, er soll auch wahrnehmen, denken und notfalls handeln; er soll, was ihm meisthin nicht schwerfällt, gescheiter sein als der Herr. Ein Hahn, gerade ein allzu bequemer, war mit Hochglanz vorbeigedoppelt worden; bedauernd und verwundert äugte der Hund ihm nach, aber er schenkte ihm weiter keine Beachtung. Ein anderer, vielleicht auch wieder derselbe, hatte den Schnappschuss über den Unterwuchs hin nicht gezeichnet, im Gleitflug entschwand er gegen einen umbuschten Wassergraben jenseits des Gehölzes. Zu allem Überfluß vernahm ich eben jetzt bekannte, seit der letzten Begegnung allerdings wesentlich gehobene Stimmen auf der überm Erlenbruche hinstreichenden Straße. „Aba scho a Klaßg’wihrl . . . Eh ka reinrassiger Hund . . Es waren meine vier Bauern zu Rad auf dem Weiterwege von der zweiten Wirtshausstation zur dritten; deutlich sah ich die längliche braune Pappschachtel schräg über dem Rücken des letzten, in ihrer vergeistigten Angeregtheit hatten sie meine Schüsse wahrscheinlich überhört. Aber „Petz” würde die vertraute Sprache seines Herrn, ob er ihm auch bei seinem Scheiden nur sehr flüchtig, gleichsam nur formhalber nachgeklagt, schwerlich überhört haben. Natürlich, nun war er dahin; Treue war mehr erhob, deutete auf ein glückliches und gepflegtes Vorleben.
Wie immer, nun war er also zugelaufen, war da, und der Bauer, statt sein zu pflegen, überantwortete den edlen, nur vielleicht schon arg heruntergekommenen Gast, weil der ihm „eh zu kaner Jagdhundraß” zu gehören schien, anderseits „derbarmte”, nach zwei Tagen dem Schinder. Dieser, ein junger Mensch, zeigte sich besser als sein Ruf und Verruf. Er konnte sich zur Hinrichtung nicht entschließen. Wahrscheinlich erwartete er Aufruf, Nachforschung, Belohnung. Darüber verstrichen Wochen. In dieser Zeit hatte der Meister den Verurteilten doch soweit ins verhärtete Herz geschlossen, um ihn der Anstrengung näherer Betrachtung würdig zu finden, und im Zuge dieses Denkvorganges gelangte er zu dem Schlüsse, dass der Verkannte aus der Fremde „am End halt do a bisserl was von aner Jagdrass” sein oder haben könnte. Welcher Erwägung zufolge er ihn endlich dann, nach Ablauf einer gewissen Frist, an Freund Kaiblinger weitergab, als an einen soweit gutmütigen Herrn, dessen bescheidenes Jägertum der Verwendbarkeit des Hundes etwas entsprechen mochte. Und das also war meines Erwählten Geschichte.
Armer Kerl! Nun erst recht. Das Herz hatte mich geführt. Eben trat einer aus der Nebenstube, wo wir unsere Gewehre, Schnerfer und Stücke abgelegt. „Sie, dees is guet! Kimm da einer, hab mei Sach holen wollen: liegt da net dar Hund ban Herrn Baran sein Jagdzeug, dös is do die kuriose Flinten mit dem Hornreiber, net? . . . und brummt an’ an! Dees is aba guet!”
Ich ging selbst hinüber, mich zum Aufbruch zu rüsten. Und da wachte „Petz”, der sich aus dem Lärm still gedrückt, bei der besonders beiseitgestellten Collath ja schließlich auch seine Pflicht. Kein Rufen, kein Pfeifen half. Zu dumm, so was; nun, morgen früh, vielleicht heute abend schon würde ich ihn wiederhaben, das war ausgemacht. Und wie ich mich umwandte, stand er bescheiden wedelnd hinter mir, im Fang den dunkelprächtigen Hahn . . .
So ging das weiter, seitenlang, bändelang. Eine der reinsten Freuden meines Jägerlebens, von diesem erlesenen, mir gleichsam vorbestimmten Hunde, über dem schon die Schatten eines unrühmlich und verfrühten Endes geschwebt, alle Schlacken des Schicksals und der Verwahrlosung bei leisester Berührung abfallen zu sehen. Nur der Liebe und täglicher Kameradschaft, kaum eimal ernsteren Nachdrucks bedurfte es, um aus diesem Ausweislosen, Unfeststellbaren alles herauszuholen, was ich je von einem ahnenstolzen Sieger hätte erwarten dürfen. Und, wie vorausgedacht, nach wenigen Wochen war der Hund nicht wiederzuerkennen, gestrafft und gerafft, freudig und frei, sicher seiner Ordnung und seiner selbst.
Nur eines kannte er noch nicht: jene tiefe verhaltene Zärtlichkeit, die nichts zu schaffen hat mit spielerischer Schmeichelei – jene rührende Liebe, deren Regung den ernsten Hund oft ganz plötzlich überkommt, dass er aufstehen muss, den Kopf für eine Weile ganz still und wunschlos an des Herrn Knie zu schmiegen, um dann getröstet wieder sein Lager zu beziehen . . . Das kannte er noch nicht; das kam erst viel später, im zweiten, im dritten Jahre erst. Noch war er seiner Bleibe, noch seines Glückes nicht gewiss; noch war es, als fürchtete er, sich allzu eng auf Leben und Tod anzuschlies- sen. Er musste viel bitteren Wechsels durchgemacht haben.
Ende Januar lag fußhoher Schnee, und der Hase hatte damals noch bis zum 1. Februar Schusszeit. „Petz”, eines Nachmittags mit mir nach Fasanenschütten unterwegs – ich streue womöglich immer erst gegen Abend -, interessierte sich plötzlich eindringlichst für eine ganz bestimmte unter den hundert auf und nieder kreuzenden Hasenspuren. Immer wieder, von Sprung zu Sprung, tauchte er die Nase, bedächtig nachprüfend, in die steil bergan durch unsichtig huckliges Erdrutschgelände führenden Fluchten. Dazu musste er Anlass haben. Woher stand diese Spur? Soweit ich sie mit dem Glase verfolgen konnte, vom vereisten Bache herauf; und dieser Bach, kaum 60 Schritt entfernt, bildete die Grenze.
Richtig, heute Vormittag und auch gestern schon hatten die lieben Nachbarn jenseits nachgeplänkelt; ich hatte die schwarzverdächtigen Schleichgestalten in den Feldern gesehen, auch einige schneestumpfe Schüsse vernommen.
„Lass anschaun!” Ich griff dem Hunde vor, und wirklich: da ein dünnes Schweissspritzerchen, da ein vereistes Schweißkorn. Fragend äugte „Petz” mich an; da kein Befehl erfolgte, arbeitete er langsam vor mir her. Nach einigen 350 Schritt kreuz und quer waren wir beim Hasen. Ich sah ihn von weitem schon krumm verkrochen unter einer Erdstufe sitzen, er ließ uns auf 30 Gänge herankommen, der Spur nach war kein Zweifel an seiner Identität möglich. Als er dennoch leidlich kregel herausfuhr, schoss ich ihn sicherheitshalber tot, denn noch war ich des Hundes nicht gewiss.
Aber damit nicht genug für diesen Nachmittag. Einige 800 Schritt weiter hinauf am Grenzbach, nah einem vom Wilde gern benutzten Brückchen, zog abermals eine besondere unter unzähligen Hasenspuren Meister Petzens eingehende Würdigung auf sich. Sieh da, auch hier wiederum Schweiß, sogar eine Kleinigkeit reichlicher, wenn auch längst vereist und gebräunt, vermutlich älter. An dieser Stelle war der Blick übers Vorfeld und weit hinauf in die ackerkahlen Hügel frei; der Hund konnte mir nicht leicht außer Sicht kommen, ich beschloss etwas zu wagen. Fragend, schiefen Kopfes, sah er mich an: Soll ich? . . . Darf ich mal? Auf Such! Und Faß! ging es mit halbtiefer Nase in scharfer Fahrt ab.
Nun war ich aber doch gespannt. Die Arbeit, zunächst sehr einfach, ging im unbetretenen Schnee eines Feldweges etliche 150 m weit bis zur stark befahrenen Gemeindestraße. Dort angelangt, suchte der Hund hüben dem Graben ein Streckchen nach rechts, nach links; jetzt erst übersetzte er den Damm, um jenseits nach gleicher Vergewisserung, in der Verlängerung gedachten Feldweges, dann auf einmal rechts hinan in einen Sturz zu arbeiten. Ein Hase stand auf; „Petz” stutzte ihm nur flüchtig nach und setzte seine Reise, immer im Rechtsbogen ansteigend, fort. Ein zweiter, ein dritter, ein vierter Hase fuhr hinaus und zu Berg; die Luders rammelten schon; der Hund äugte, prellte einem verwirrend nahen Mümmlerich drei Fluchten weit nach, ließ ihn gehen, überlegte und kehrte zu seiner Aufgabe zurück.
Jetzt gab es eine umständliche Feststellung. Eine An-gelegenheit dort oben, Sasse, Wundsasse wohl, musste besonders aufschlussreich duften; mehrmals kehrte „Petz” kreisend, beinahe schon fackelnd, nach dem Platze zurück. Nun ging es wieder im Bogen bergunter; noch ein auffahrender Hase störte, und jetzt schien der Hund den Verendeten gefunden zu haben, so plötzlich bog er halbrechts. Aber es war nichts, es war vielleicht nun ein scharfer Haken.
Ziemlich eilig, als hätte er eine zwecklose Geschichte aufgesteckt, kam er herab, zur Straße zurück. Hier nahm er sich erst mal gemütsruhig Zeit für einen Randstein – „ooch der größte Feldherr muss manchmal pinkeln” -, begann aber nach flüchtigem Kreisen scheinbar von Frischem zu arbeiten, schlug einen und anderen Haken, hielt endlich mit ganz tiefer Nase im scharfen Trab, schließlich im Galopp quer über einige schmale Äcker, dann in der Böschung eines Dammes auf einen etwa 200 Schritt stromauf gelegenen, dicht umbuschten Sumpf des Grenzbaches zu, wurde langsamer, stand kurz und verschwand.
Hühner schwirrten, ein erschrockener Hahn gockelte, Enten rauschten und quakten. Ich ärgerte mich; sicherlich doch Faselei; Flugwildwittrung in der Pointernase, was sonst. Ich hätte dem kranken Hasen, Hund kurz voran, lieber selbst nachstapfen sollen wie dem ersten; vielleicht war es auf dem Heimwege noch nachzuholen. Und auf einmal, während ich überlegte, Schrillpfeife zwischen den Lippen, kam „Petz” wieder zum Vorschein, kam auf dem Uferdamm unter den Erlen her angepulvert, drei breite Abzugsgräben hintereinander in hoher Form wie ein Fuchshund überfallend, kam keuchend vor Freude mehr als vor Anstrengung angewedelt und förmlich angeleuchtet, und – hatte den brettsteifen Lampe im Fang! . . . Viel besser, meine ich, hätte er es nicht und hätte es kein anderer machen können.
Ein einziges Schrotkorn hatte der Krumme, und dieses hatte die Leber gefaßt: daher der Kreislauf den Sturz hinan und nach einigen Wundsassen wieder herunter. Der Weg führte mich zu Lampes Sterbelager im dicken Brombusch und dann zur Stelle, wo der Hund die seltsamen Haken geschlagen; hier hatten Krähen dem wohl schon sichtlich matten Hasen zugesetzt, aber dann musste er all seine übrigen Kräfte mit Macht zusammengenommen haben, die letzten Fluchten nach der bergenden Deckung am Grenzbache zurück – ohne allen Schweiß übrigens – waren noch weit, wie gesund. Die ganze Strecke der Suche hin und wider mochte 700m betragen.
Weiße Suche ist Sichtsuche, mögen manche mäkeln. Stimmt. Auch ich vergaß es über Freude und Lob keinen Augenblick. Aber seither hat der alte „Petz” solche und noch überzeugendere Suchen zu aber Dutzenden auf schwarzem Boden geliefert.
Und so ging es weiter durch die Jahr- und Schon- und Schusszeiten, und er wurde ohne Couö mit jedem Tage besser und besser. Vom Ausklang der Schnepfenwochen an die hübsche platonische Arbeit an den Paarhühnern, dass man ihnen Wiesen und Kleeschläge nach Möglichkeit verleidete; und wenn tausendmal Blendlaterne – der weiße Drahthaar unter schattenden Föhnwolkenzügen vor fahler Landschaft auf grünem Grund: in Farbe und Stimmung jedesmal ein hinreißendes Bild, allein schon Erlebens und eines großen Künstlers wert.
Und zwischen den Ziffern wie viele fast unwägbare Feinheiten, in der gegenseitigen Verständigung, in der gegenseitigen Durchringung, im gegenseitigen Drill – auch der Hund erzieht, führt und richtet seinen Herrn; in kleinen unscheinbaren Meisterstücken, in gewissen besonderen Gepflogenheiten, in schwer beschreibbaren Einzelzügen . . . Was zum Beispiel soll man sagen von einem Hunde, der, wenn unangeleint, den schwach oder stark angekröpelten Hasen von der Stelle weg ohne Befehl und Verzug hetzt und holt, den gefehlten glatt laufen, den gestürzten bis zur auslösenden Weisung schnellen, verzappeln, liegen lässt und in solchen Unter-Scheidungen niemals irrt, unfehlbar, jedes Mal Recht hat? Dass er sieht, schließt, urteilt, denkt, handelt und – weiß.
Heute steht der Ausweislose in unserem vierten, vielleicht also eigenem siebentem oder achtem Feld. Noch schmückt kein graues Haar seine Maske, noch ist er ein Junger an Freude, ein Jüngling an Eifer, ein Vollkräftiger an Stärke und Ausdauer, ein Alter nur an Kenntnis, Erfahrung, Umsicht, Meisterschaft und Verdienst. Das Tauschgewehr aber, damals und verhältnismäßig durchaus „Klaß”, ist längst zum unkenntlichen Prügel ohne „Rass” verrostet, und als Zwischenvater Kaiblinger einmal vorsprach, seinen angeblich unverschmerzbaren Schützling zu besuchen, wurde er vom verflossenen „Rolf noch weniger wiedererkannt als dieser fast von ihm, wurde er nicht etwa freudig begrüßt, sondern wütend gestellt und verbellt und bei einem Haar um den edelsten Teil seiner Gewandung gebracht.
Die Vergangenheit des Hundes, gewiss wohl eines ein-getragenen, wahrscheinlich eines Ahnenstölzen, vielleicht eines einst als große Hoffnung Gefeierten, ist dunkel; licht darin nur die geahnte namenlose Gestalt eines früheren Herrn, seines Lehrers und Erziehers, dem hiermit alle Ehr und eines fremden Waidmanns Dank. Und dunkel auch ist ein Tag in der Zukunft, dessen ich noch weniger gerne gedenken mag als eines gewissen anderen…
Aber, wie es auch kommt und schlägt, dereinst werden ja wir alle wieder beisammen sein, wir beide, und der trotz dir, mein Alter, unvergessene „Trick”, und der Nero der Mächtige und Petz der Erste, und Hertha und Gredl und Turl und Taxi, und Lump der Braune und Boy die Bracke, und Mentor der Pointer und Stop der Setter und Fellow der Spaniel und Krampus der Rauhdachs, und Don der Griffon und Lord der Langhaar: und dann gehören uns Gullinbursti der Unsterbliche, und Eikthyr- ner und Dain und Dwalin und Duneir und Durathror die fünf Jahreshirsche, und der Nebelbock und der Zlatorog, und Glasir der Wald der Seligen, und die Jagdgründe der Ewigkeit.