Erste Erfahrungen mit Jagdhunden konnte ich in der Lehre sammeln. Mein Lehrherr, Wildmeister Heinicke, war großer Hundemann, und nicht selten hatten wir ein Dutzend in den Zwingern. Einer seiner Kernsprüche lautete: Hundeleute sind alles Hundeköppe. Er schloss sich dabei nicht aus, daher war es auch bestimmt nicht boshaft gemeint. Ich konnte, wenn ich Lehrling eine Prüfung als Randbeteiligter mitgemacht hatte, sogar gut verstehen, dass die anderen Rüdemänner noch mehr auf den mit allen Wassern gewaschenen Heinicke schimpften, als er auf sie, nachdem die Suche „abgeritten” war, wie er sich als alter Reiteroffizier auszudrücken beliebte.
In jener Zeit als Lehrling musste ich einmal mit vier Hunden nach Nauen zur Feldprüfung, damals kurz Suche genannt. Der Lehrherr war schon mit einem Hund voraus, und ich hatte in Berlin im Christlichen Hospiz am Anhalter Bahnhof zu übernachten. Mit vier Hunden! Wir bekamen ein schmuckloses, den 1,4 Christen angemessenes Zimmer und den Hinweis, die Toilette für die Hunde sei die Straße.
Blutjung, in schmucker Uniform, einen prächtigen Gott- orper Kurzhaar an der Leine, war ich selbst für die Berliner etwas Auffallendes am Anhalter Bahnhof. Vor allem wenn der Hund, mit dem ich gerade „austreten” ging, begann, einen krummen Rücken zu machen und die staunenden Berliner Blicke mit dem berühmt traurigen Garbo-Augenaufschlag des ganz mit den Vorgängen unterhalb seines Herzens beschäftigten Hundes erwiderte.
„Kiek mal, dat is den beeden aber sichtlich peinlich, wa?” Da den Berlinern Sprachlosigkeit nicht liegt, schloss ich aus solchen und ähnlichen Bemerkungen, dass ich dasselbe unglückliche Kotaugesicht machte wie der Kurzhaar und stellte mich wenigstens besonders gerade hin. Als ich mit dem dritten Hund meine Not hatte, ihn vom selbstgewählten Platz an den Rinnstein zu zerren, trat eine Frau aus einem Laden und belehrte mich. „Wissense, jeben se dem Hund doch Schribben, det sind .Arschverlöter’.” Damals wusste ich noch nicht, dass dieser Ausdruck von einem Wissenschaftler stammt, die Frau daher als gebildet anzusprechen war. Mit rotem Kopf wünschte ich Pest und Hölle auf alle Hunde und Wildmeister und Suchen der Welt. Mein Herz war Stein und mein Gesicht eisige Nichtachtung, als ich mit dem vierten, wieder fast gleich aussehenden Hund „Gäßchen” ging.
Als Hilfsjäger mit kargem Gehalt kaufte ich Welpen, die an Berufsjäger verbilligt abgegeben wurden, brachte sie durch die Anlagensuche und gut an den Mann. Pecunia, das Geld, ist ja ohne Wittrung. Jenerzeit machte ich meine Erfahrungen mit Suchenfürsten, Perfektionisten, Konfektionisten und Zehentretern; aber auch mit Hundetanten, die ihren verzogenen Liebling – das Aas biss sogar – wieder vernünftig haben wollten, und mit mannscharf gemachten Jagdhunden. Aber immer war einer neben mir als Kamerad – nicht Hund, Kamerad!
Einen ersten Kameraden hatte ich schon als Stift. Es war eine Pudelpointerin. Nach meinen Erfahrungen eine der klügsten Hunderassen überhaupt. Sie wusste, dass ich Stift war und teilte mit weiblichem Instinkt begeistert meine Heimlichkeiten. Einmal brachte sie mir einen Brief einer Freundin, sinnig ans Halsband gebunden. Der Alte, der immer dort erschien, wo er von Stifts wegen nicht hingehörte, wollte ihr partout das Ding abnehmen, aber Miggi, ich weiß nicht, warum sie so hieß, die sonst dem Alten, schon aus Klugheit, aufs Wort gehorchte, ließ sich nicht beikommen. Sie verschwand einfach und tauchte erst auf, als ich auftauchte. Der Alte machte drei Tage „Morgenstunde”, das hieß, er fauchte derart vor Wut, dass man sein goldenes Gebiss sah, und Miggi und ich mussten doppelten Dienst machen, aber der Brief war mein.
Dann bekam ich einen Kurzhaar-Halbwuchs und musste ihn mannscharf machen. Es war eine wilde Zeit 1932, und ich hatte schon in Moabit gesessen, weil man erst schießen durfte, nachdem man erschossen worden war, was ich in meinem jugendlichen Übermut mißachtet hatte. Heinicke, der alte Fuchs, biss mich raus, sonst wäre es mit meiner Laufbahn zu Ende gewesen.
So wie mich Jägerhalbwuchs die Wilderer ärgerten, derart, dass ich mein Lebenlang fast immer auf Anzeige verzichtete, so wurde mein Kurzhaarhalbwuchs geärgert von einem Wolfshund namens Prinz. Es war der Hund des Gutsgartenbaudirektors und ebenso vornehm und bissig wie sein Herr und stolz auf das Obst, das sie bewachten. Eines Tages nun gehe ich, mit meinem Hund bei Fuß, durch die Obstplantage. Er war inzwischen ausgewachsen und scharf und stark. Da taucht der blasierte Kinderbeißer „Prinz” zwischen seinen Goldparmänen auf, und noch ehe ich und der Prinz zur Besinnung kommen, hängt mein Hund ihm an der Drossel und versucht ihn zu beuteln wie eine Katze. Einen Wolfshund! Ich war platt ob so viel unüberlegter Rachlust.
Meine Bewunderung wandelte sich jedoch schnell in Schrecken, denn Rübezahl, wie wir Jäger den bebarteten Herren aller verbotenen Früchte despektierlich nannten, war ein zwar kleiner, aber grimmiger Herr und wir Jäger immer in seiner Schuld, denn wir schlüpften mit zwei Zehen in die Holzpantinen der Mädchen aus der Geflügelfarm und klauten ihm Edelobst aus den stets frisch geharkten Sonderplantagen. Wir ließen dann die Pantinen unter einem Baum stehen, von dem aus wir klettern und an Zweigen hangelnd wieder Grasboden erreichen konnten.
Ich rannte also, eingedenk solcher und anderer Sünden, auf die Balgerei los, zerrte meinen Hund am Halsband und in seinem Gebiss seltsam tatenlos hängend, auch den Prinz einige Schritte, bis mein Kurzhaar losließ und, sich nur widerstrebend meiner fanatischen Friedensliebe beugend, den Reviergang mit mir fortsetzte. Prinz blieb liegen. Obwohl ich den Kinderbeißer nicht mochte, brachte ich es doch nicht übers Herz, ihn ohne Hilfe zu lassen und bat darum einen Gärtner, doch mal hinaufzugehen zum Bienenhaus, dort sei etwas los, vielleicht ein Schwarm. Er musste auf dem Wege dorthin an dem Hund vorbei und konnte helfen, wenn es nötig war.
Abends hörte ich, der Prinz sei auf unerklärliche Weise umgekommen, aber der Unerklärlichkeiten gab es sowieso viele zwischen Park, Geflügelfarm, Herrenhaus und Jägerburg. Ich weiß, es ist „lügenhaft to verteilen”, aber so war es. Vielleicht hat den Prinz ja auch der Schlag getroffen. Meinen Hund nannte ich seit dieser Zeit „Bulle”. Himmel, man ist noch so romantisch als junger Mensch und verliert sich in blumigen Ausdrücken, aber es paßte gut zu ihm. Er hat mir dann noch einmal so ganz nebenbei das Leben gerettet. Es war so.
Ich badete im April mit fünf Welpen im Weinbergsee nahe Seelow. Das Frühjahr 1933 war heiß. Ich dammelte mit den Junghunden im flachen Wasser und exerzierte so zum Spaß mit einigen Knüppeln; schwamm auch mal ein paar Züge ins Tiefe hinter einem Knüppel her und hatte, schwupp, an einem Arm zwei Hunde hängen und, ehe ich begriff, am anderen auch einen. Ich ließ mich sacken, tauchte, denn der untergetauchte Hund muss ja loslassen. Müsste. Schlecht war auch, dass man selbst unter Wasser nur schwer Luft bekommt. Immerhin, einer ließ los, fasste aber gleich wieder zu, und nun versuchten die drei das mit mir. Verdammt, allein im weiten Wasser und noch nicht einmal den Halt einer Badehose am Körper, man kommt ja auf blöde Gedanken dabei.
Meine Angst muss sich den Hunden mitgeteilt haben, denn sie bissen sich richtig fest. Alles, was mir einfiel, zwar nach „Bulle” zu brüllen, der, am Ufer brav abgelegt, meiner harrte und sicherlich diese Kalberei mit den Gören von vornherein missbilligte. „Bulle!” brüllte ich, so-weit mir zwischen Hundetauchen, Wasserschlucken, Beinestrampeln und letzten Gebeten Zeit blieb. Und Bulle kam zwar zögernd, als sei er der Ansicht, ich solle ruhig noch eine Weile Wasser schlucken, aber er kam und tat das einzig Mögliche: Er schnappte sich irgend ein freies Ende des strampelnden Knäuels und versuchte, es an Land zu apportieren. Jedenfalls gelang es seiner Zielstrebigkeit, Irgendetwas ans Ufer bringen zu wollen, und meiner Beinarbeit, die gleiches beabsichtigte, die ganze versaufende Gesellschaft in Richtung Land in Bewegung zu setzen. Es waren nur wenige Meter, bis ich Grund hatte, aber ich hatte lange Grund, meine Arme zu kurieren, aber das kam auch vielleicht von der Putzwolle.
Denn eben dem sonnigen Apriltag wiedergeschenkt und just, als ich versuchte, mit dem Finger im Hals dem See wieder zu seinem Wasser zu verhelfen, kam der Gutsinspektor Volz auf dem Motorrad, mit Mädchen vorm Auspuff, den Weg zum See herunter. Finger aus dem Hals und über den seegefüllten Bauch ein Hemd, zur Hose reichte es nicht mehr, und die Gesichtszüge wieder zur Männlichkeit zurückrangiert, denn – das Mädchen war nicht irgendein Mädchen, sondern die Schönheit der Gegend, um die ich meinen Freund stets tief beneidete. Aber er war der größere Gehaltsempfänger und machte besonders jetzt eine bedeutend stattlichere Figur als der käsig im Gras hockende, mit blutigem Hemd des Leibes Scham notdürftig bedeckende, nasse Jägerknabe.
Der Herr Inspektor lächelte das Lächeln des studierten Landwirts vor besonders großen Kartoffeln des Nachbarn und kramte mit sichtlichem Genuss, wie mir schien, bunte Putzwolle aus der Satteltasche der Stinkdüse und bewickelte mich damit. Bei der „Schönheit”, sie interessierte sich verschämt nur für die Hunde, war ich gänzlich aus dem Felde geschlagen. Das Schlimmste sah ich jedoch erst, als ich die Meute ankoppelte; einem der jungen Hunde waren zwei Zehen glatt abgebissen. Ich schämte mich lange vor mir selbst des im Wasser erlittenen Panikgefühls.
Mein Lehrkollege Gerhard Janotta und ich mussten des Öfteren in einer einsamen Revierhütte kampieren. Ausgerüstet mit einem Laib Brot, Ballistol, einem Würfel Rama-Buttergleich, einigen Zwiebeln und abgezählten Patronen marschierten wir singend zur Hütte. Das ist kein Scherz, die Jugend sang damals. Wildpret durften wir uns schießen; Eichelhäher, junge Krähen und was sonst bei der Strecke „linke unten” lag. Dazu waren dem Zuspruch der nahrhaften Feldfrüchte keine Grenzen gesetzt. Hüttentage während der Wildackerbestellung sind der Lehrlinge Himmel auf Erden. Ich hatte als ältester Stift einen fast fertigen Hund mit (lasst mich die Rasse diskret verschweigen), dessen außerordentlich würzige Verdauung selbst Pellkartoffeln in Fuchswittrung verwandelte. Gerhard, feinsinniger veranlagt, schlief deshalb lieber auf dem Bretterpodest vor der Hütte als auf der Bank in der Hütte.
Plötzlich, so um Mitternacht, ein gewaltiger Schrei. Gerhard springt auf, will die Tür aufreißen, um in die Hütte zu flüchten, die steht aber wegen besagter Atemluft des Hundes schon offen, und so rammt er sich ihre scharfe Kante zwischen Auge und Nase, stöhnt und geht auf die Bretter. Der Hund und ich sind hochgefahren, und wie ein Schemen saust mein Fußwärmer mit mächtigem Satz zur Tür hinaus in die Nacht. Ich lausche, greife vorsichtig nach der Taschenlampe, stehe auf, schleiche zur Tür, halte die Lampe weit vom Körper ab im ausgestreckten Arm und knipse an, gewärtig, dass einer drauf schießt. Nichts.
Nur Gerhard liegt vor der Tür und schweißt still vor sich hin. Ich leuchte nach draußen, die Weidenkultur schimmert rot im Schein der Lampe. Nichts. Vorsichtig stoße ich Gerhard mit dem Fuß an, und spuckend und schnaufend, wie der Opel P 4 des Tierarztes nach einer Notentbindung auf nasser Weide, rappelt er sich auf. Ich ziehe die Tür hinter uns zu, zünde die Petroleumlampe an und betrachte die aufblühende Landschaft im Gesicht meines stimmgewaltigen Kollegen. Bevor ich ihn fragen kann, warum er schrie (oder geschrien habe), stellt er mir die gleiche Frage. Pause. Mensch, der Hund! Der hat den Deibel vielleicht schon im Fang! Wir lauschen in die Nacht. Nichts.
Während der Ballistolbehandlung klärten wir den Fall, soweit er schon klar war. Damit Gerhard aber, nach seinem „letzten Schrei”, dem gütigen Zuspruch der Tür (er hatte geglaubt, er sei erschossen, das Englische Begleitkommando in den Himmel hatte er schon gehört und gesehen) und seiner dramatischen Rettung durch mich vor weiteren Gefahren bewahrt bliebe, bat er darum, zumal der Hund es scheinbar vorzog, woanders zu verdauen, gegen Erstattung eines „Schreckensbieres” unter meiner Obhut den Rest der Nacht in der Hütte verbringen zu dürfen. Aber er schlief immer noch schlechter als ich, denn trotz der nach dem Ballistol aufgelegten Zwiebel schwollen ihm Auge und Giebel.
Der Hund wurde nach drei Tagen im zwanzig Kilometer entfernten Küstrin aufgegriffen und trug seit der „Geisterstunde” die Rute nur noch nach unten und den Blick schamhaft gesenkt. Wir mussten ihn an eine Stadtfamilie verkaufen. Beim fälligen Schreckensbier im Schützenhaus erzählte mir Gerhard übrigens, der Hund habe schon einmal ausreißen wollen, vor 14 Tagen, als er ihn, den armen Gerhard, mitsamt der tragbaren Ansitzleiter, auf der er, der arme Gerhard, Anblick gewärtigend hockte, umgerissen habe. Er, der Hund, sei aber nicht weit gekommen, da er, der Hund, ja habe die Leiter mitschleppen müssen. Der Hund sei eben schreckhaft.
Mir selbst hatte das Leben derzeit noch nicht so viel Unterricht in Psychologie gegeben, wahrscheinlich kannte ich das Wort noch gar nicht, trotzdem fragte ich Gerhard, bei den weiteren Bieren, die das Eingeständnis des fehlerhaften Anbindens eines Hundes an eine Ansitzleiter kostete, ob er bei dem Absturz etwa den Hund mit sich oder anderen jagdlichen Gegenständen hart getroffen und gar ähnlich geschrien habe wie in der Nacht, denn mir schien, es könnten da Zusammenhänge zwischen Schrei und Hundeflucht bestehen.-
Einem Hund, den ich vorführte, verdankte ich die beste Stellung meines Lebens. Der Hund war gut, aber nicht überragend und, um eine kleine „Wartepause” bei der Vorführung auszufüllen, rupfte ich der im Wagen wartenden Dame des Kaufinteressenten ein paar ebenso nutzlos herumstehende Feldblumen. Na ja, jeder hilft sich aus der Verlegenheit, wie er kann, und ich ließ eben, roh und instinktbehaftet wie ich damals war, Blumen für den Hund sprechen. Der Hund wurde gekauft, lief dann 40 km zu mir zurück, und Herr S. holte ihn ein zweites Mal – und bald darauf auch mich. Nun saß ich als wohlbestallter Berufsjäger im 4500 ha großen Revier mit hundert Reichsmark Gehalt und der Versicherung meines Jagdherrn, nur der Blumenstrauß habe mir die Stellung beschert, denn die von mir beblumte Dame, hübsch und
trotzdem jagdverständig, war, entgegen meiner diesmal instinktlosen Vermutung, seine Frau gewesen.