Hannoverscher Schweißhund durch die Landkreise Teil I – interessante Jagdgeschichten

Wenn man jagdliche Passion im Überfluss besitzt, kommen einem Tage wie Weihnachten fast wie Fesseln an familiären Feiertraditionen vor. Besonders, wenn zugleich Neuschnee und Halbmond die Aussicht auf Begegnung mit Fuchs oder Sauen im Revier den Pulsschlag höher steigen lassen und die Gedanken sich gegen Abend damit beschäftigen, wie man seiner besseren Ehehälfte sowie der zu Besuch weilenden Schwiegermutter geschickt beibringt, dass die eigene Anwesenheit im Verlauf der späten Nacht nur störend wirkt.

Die noch vom Heiligen Abend durch Geschenke beseelte Ehefrau und die mit dem unauffälligen Hinweis auf angesagte Straßenglätte diplomatisch heimgesandte Schwiegermutter waren bald als „Hürde” überwunden. Es konnte, grün und warm verpackt, gegen 21 Uhr ins Revier gehen.

Es hatte getaut, und viele dunkle Flächen ließen bei ab-nehmendem Mond und starker Bewölkung keine gute Sicht zu. Beim Angehen des Ansitzwagens kamen mir erste Zweifel über den Sinn meines Vorhabens, die sich verstärkten, als ich es mir im „Bollerwagen”, einem auf einen ausgedienten Ackerwagen gesetzten geschlossenen Ansitz, bequem machte.

Das Abfährten der letzten Tage hatte gezeigt, dass unregelmäßig eine starke Fährte an den Acker und zu dem dort angelegten Luderschacht führte, so dass in mir die Hoffnung keimte, vielleicht auf den seit Jahren hier herumgeisternden „Wunderkeiler” zu Schuss zu kommen.

So saß ich voller Anspannung eingemummt im Ansitzsack und leuchtete mein Umfeld ab. Jeder Maulwurfhaufen schien bei diesem diffusen Licht zum mausenden Fuchs zu werden und jedes Rauschen des Windes im Anwechseln befindliches Wild zu signalisieren.

Ich hatte kaum zwanzig Minuten gesessen, da löste sich lautlos ein Schatten aus dem Bestandesrand und ließ mich augenblicklich erstarren. Sauen? Der vorsichtige Griff zum Glas sowie das Einsetzen von Jagdfieber eiferten in Schnelligkeit um die Wette.

Es war eine Ricke mit ihrem schwarzen Kitz, die zügig der Äsungsfläche zustrebten. Es folgten kurz darauf zwei weitere Stücke, die sich als Ricke und Bock entpuppten.

Das Auftauchen des Wildes hatte meinen Puls doch ziemlich hoch schlagen lassen, tiefes
Durchatmen war vonnöten, um ihn zu normalisieren.

Auf dem angrenzenden Stoppelrübenfeld lösten sich bald darauf zwei kleinere Schatten, die sich bei näherem Hinsehen als Hasen erwiesen. Die vertraut äsenden Rehe sowie die wohltuend im Magen liegende Weihnachtsgans „eigener Ernte” ließen entspannte Müdigkeit in mir aufkomme, und schon döste ich gemütlich vor mich hin.

Es mochte wohl eine weitere Stunde vergangen sein, als mich lautes Schrecken eines Rehs aus meinen weihnächtlichen Träumen riss. Sollten etwa Sauen im Anmarsch sein? Das Rehwild äugte angespannt zum Bestandesrand, denn das Schrecken kam aus dem angrenzenden Kiefernaltholz. Minutenlanges angestrengtes Ableuchten und Verhören vermischten sich mit dem nervösen Greifen nach der hinter mir stehenden Bockbüchsflinte. Trotz intensiven Lauschens tat sich allerdings nichts Besonderes auf der Fläche vor mir. Das Rehwild äste bald ruhig weiter.

Misstrauisch leuchtete ich erneut den Bestandesrand ab und bemerkte einen großen Schatten. Der Wind stand günstig. Lautlos schob ich die Waffe vor mir auf die Brüstung und legte mit zittriger Hand (war es Frost oder das Jagdfieber?) den Handschuh unter den Schaft.

Schon löste sich ein Wildkörper vom Schatten des Bestandes und zog, einem Schemen gleich, am Rande des Wildackers auf mich zu.

Es war ein Keiler! Regungslos verhoffte er sekundenlang spitz zu mir hin und äugte dann dem abspringenden Rehwild nach.

War es das Hauptschwein? Wagen oder warten, die Gedanken gingen in mir hin und her. Schon zog die Sau, mir immer größer erscheinend, auf knapp 35 Gänge vor mir her und dann spitz von mir fort. Der Keiler! Da war der Schuss raus. Geblendet durch das Mündungsfeuer, fieberhaft nachladend, starrte ich angespannt auf den Anschuss. Mit fliegendem Puls leuchtete ich jeden dunklen Punkt vor mir auf dem Acker und auf den angrenzenden Feldern ab. Ich wurde unsicher. Immer nervöser blickte ich durch das Glas, doch kein dunkler Klumpen war zu sehen.

Die Zeit war inzwischen auf 22.45 Uhr fortgeschritten, fünf Minuten wollte ich noch warten, um dann zum Anschuss zu gehen.

Nachdem ich mich aus meinem Ansitzsack geschält hatte, die starke Halogenlampe in der linken, die Büchse in der rechten Hand, ging es zum vermeintlichen Anschuss. Schon sah ich tiefe Ausrisse und die sich im Restschnee gut abzeichnende Fluchtfährte, die schräg zum Wald hinführte. Und Schweiß, gut Schweiß sogar. Er lag wie hingegossen am Anschuss, wo ich nun auch Schnitthaar fand.

Weit konnte der Keiler nicht sein, schien es mir. So fuhr ich flink ins Dorf, um Verstärkung zu holen. Im Hause des Jagdherrn Rolf war alles dunkel. Kein Mensch daheim. Also ging es weiter zu Bernhard. Schon von weitem sah ich ihn im Hausflur stehen und seine Gäste verabschieden. Raus aus dem Auto, kurze Begrüßung der Gäste, hingeworfene Entschuldigungen, frohe Weihnacht an die Ehefrau, und schon sprudelte es aus mir heraus, wie es war und wie es hätte sein sollen.

Keine Panik, den holen wir uns noch eben”, unterbrach mich Bernhard, und kurz darauf stand er in Stiefeln und Mantel, die Büchse auf dem Rücken, vor mir. Beim Anschuss ging das Fachsimpeln los: „Gut Schweiß”, „Schnitthaar”, „tiefe Einrisse”, „der kann nicht weit sein”.

Hektisches Ableuchten der Umgebung, und schon folgten wir der gut sichtbaren Schweißfährte, 10, 20, 50 Meter, noch immer lag der Keiler nicht. Uns wurde angsam mulmig zumute. Weitere 50 Meter wollten wir noch folgen, war unser Entschluss. Das Stück hatte Fluchten bis zu drei Metern gemacht und viel Schweiß verloren. Deprimiert gaben wir vorerst auf.

Günther musste mit seinem Hannoverschen Schweißhund helfen, die angrenzende Försterei musste informiert werden, ebenso wie der Eigenjagdbesitzer, in dessen Revier der Keiler geflüchtet war.

„Morgen früh sehen wir weiter”, verabschiedeten wir uns, als ich Bernhard lange nach Mitternacht vor seiner Haustür absetzte.

Schon zeitig war ich am Morgen wieder auf den Beinen und wartete auf den Anruf des Freundes, der alles organisieren wollte. Endlich um 9 Uhr klingelte das Telefon: „Treffen um 9.30 Uhr beim Anschuss. Günther und Dirk kommen”, klang es aus der Muschel.

Bereits 20 Minuten später wartete ich am verabredeten Treffpunkt und begrüßte, etwas schuldvoll dreinblickend, die nach und nach Eintreffenden. Endlich erschien auch Günther mit seinem jungen Hannoverschen Schweißhund „Drall vom Reihertal”, genannt „Mungo”.

„Was war?” brummte Günther mich an, und schuldbewusst führte ich ihn zum Anschuss. „Mmh, kein kleines Schwein”, war der nächste Kommentar und „auch noch allein” der letzte des wortkargen Schweißhundeführers.

Dann ertönte ein lautes „Hallo, wo sünd jie?” es war Dirk, der Eigenjagdbesitzer. „Wat is dat denn vor een vogeligen Keerl ween, de up’n Wiehnachten hier ansitten deit?” polterte er gleich los und fuhr fort: „Dat Schwien is bi mi all dör und inne Staatsforst loopen.” Auch das noch.

„Man los”, räusperte sich Günther nun und schickte die Freunde per Auto in den Staatsforst. Nur Dirk und ich folgten ihm und dem Hund auf der gut sichtbaren Wundfährte. In fast jedem Trittsiegel fanden wir Schweiß. Nach einiger Zeit bemerkte ich Fuchsspuren, die neben der Wundfährte diese begleiteten. Hatte doch offenbar Reineke in der Hoffnung auf Beute die kranke Sau ebenfalls verfolgt.

Inzwischen umkreisten die Jagdfreunde die einzelnen Dickungen und gaben uns Zeichen, wo der Keiler, der inzwischen in zügigen Troll übergegangen war, bereits hindurch war, was Günther zu dem Resümee veranlasste: „Der Schuss muss unterhalb der Drossel im Feist sitzen, denn der Schweiß wird geringer, und das Schnitthaar am Anschuss bestärkt diese Vermutung.”

Weiter ging die Suche. Wir waren inzwischen wohl über drei Kilometer marschiert. An der Grenze zum Revier Ahe stoppten wir. Die Pächter mussten benachrichtigt werden, bevor wir ihr Revier durchquerten. So fuhren Bernhard und ich mit den anderen ins Nachbarrevier, um den Pächter aufzusuchen, der uns nur flüchtig bekannt war. Nach längerem Suchen fanden wir sein Haus, und die Frau bat uns, doch einen Augenblick zu warten, da ihr Mann nur kurz im Revier sei. Was blieb uns anderes übrig?

Gegen halb eins kam der Herr merkwürdig grinsend angefahren. Und nach kurzer Begrüßung überraschte er uns mit den Worten: „Ich weiß schon, was Sie suchen.”

Bei seiner Morgenpürsch war er auf die Schweißfährte des Keilers gestoßen. Mit seinem Sohn hatte er diese voller Erwartung bis an die nächste Reviergrenze verfolgt; insgesamt war der Keiler zwischenzeitlich über sechs Kilometer gezogen. Freundlicherweise durften wir aus der Wohnung den nächsten Pächter benachrichtigen, der sofort sein Einverständnis zur Folge gab und versprach zu kommen, um eventuell behilflich zu sein.

Günther und Bernhard folgten weiter der Fährte, und wir fuhren vor, um den Jagdpächter zu holen und eventuell weiter vorzugreifen. Nach einer weiteren Stunde trafen wir wieder mit Günther und dem Schweißhund zusammen und brachten ihn zu der Anschlussfährte, die wir inzwischen gefunden hatten. Günther und ich zogen mit dem Hund weiter, während die anderen Vorgriffen. Dann stockte der Hund. Die Fährte führte am Ortsrand des Dörfchens Wellen in eine Douglasien-Fichten-Dickung, die, kaum einen Morgen groß, an einer starkbefahrenen Kreisstraße liegt. Sollte das Hauptschwein in dieser belebten Ecke stecken? Zehn Kilometer waren inzwischen zurückgelegt. Umschlagen der Dickung gab uns die Gewissheit, dass der Keiler steckte.

Inzwischen war es 14.15 Uhr geworden, die Zeit drängte, denn gegen 16 Uhr wurde es dunkel. Schnell telefonierten wir von einer nahen Telefonzelle nach mehreren Jagdfreunden, denn hier half nur das Umstellen mit möglichst vielen Schützen. Binnen einer halben Stundestieß ein gutes Dutzend Jäger zu uns voller Erwartung und Vorfreude auf diesen unverhofften nachweihnachtlichen Leckerbissen. Kurze Absprache mit dem Revierinhaber sowie dem Schweißhundeführer, und schon konnte es losgehen.

Vorsichtig, möglichst leise wurde die Dickung abgestellt.

Günther und ich nahmen die Fährte wieder auf, und los ging es. Die Spannung stieg. Starke Schwarzwildwittrung stieg uns in die Nasen, und Günther deutete lautes an, die Sau könne nicht mehr weit sehen. Da wir der Fährte im schneebedeckten Boden gut sichtbar folgen konnten und der Hund stramm im Riemen lag, merkten wir bald, dass das kranke Stück in der Dickung, in der wir teilweise nur kriechen konnten, sich immer vor uns her bewegte und Widergänge machte.

Flach auf dem Boden liegend, suchte ich ständig, soweit das Auge reichte, unter den Zweigen die Umgebung ab, aber das Schwein war weder zu hören noch zu sehen.

Zum zweiten Mal waren wir nun schon durch die Dickung hin und her gezogen, kein Laut, kein Schuss, und immer noch drückte sich der Keiler vor oder hinter uns lautlos duchs Gewirr der Douglasien, das mit dichtem Heidelbeerkraut und Brombeergerank besetzt war. Langsam wurde mir mulmig, und auch bei Günther machte sich die Anspannung bemerkbar.

Der Keiler würde beim Ausbrechen wahrscheinlich den Rückwechsel annehmen, und wir hatten deshalb die besten Schützen unserer Jagdgemeinschaft, Winfried und Bernhard, dort postiert. Plötzlich fiel ein Schuss. Kurz danach ein weiterer und in schneller Folge noch drei Schüsse. Hastig arbeiteten wir uns in die Richtung und standen schon bald vor recht betretenen Jägern. Die Sau war dort gekommen, wo wir keinesfalls damit gerechnet hatten.

Kurz darauf waren alle Schützen wieder zusammen, und ein aufgeregtes Diskutieren setzte ein. Der Keiler war mehrmals, so erfuhren wir, ruhig am Bestandesrand aufgetaucht. Wegen der Anweisung, nicht ins Treiben zu schießen, war dies auch unterblieben, obwohl zwei Jäger ihn auf 30 Gänge Entfernung frei im Fadenkreuz hatten.

Offensichtlich hatte der Keiler, stets vor uns herziehend, die schwächste Stelle der Schützenkette „her- ausbekommen” und war hochflüchtig durchs Altholz über den Graben und die Kreisstraße im angrenzenden Bestand verschwunden. Keine Kugel hatte ihn gestreift, obwohl er einem Schützen auf wohl 15 Meter kam, dieser ihn aber in der Aufregung überschoss.

Der Organisationsfehler wurde uns bald klar. Die Schützen hatten nicht – trotz Anweisung – hinterm Graben gestanden, sondern weit davor. Hätten sie die angewiesenen Posten eingenommen, dann wäre es ihnen möglich gewesen, die Sau zu beschießen, da sie am Graben erhofft hätte, was sie allerdings laut Aussage nicht tat, sondern die drei Meter in einem riesigen Satz nahm. So Krank schien sie also doch nicht zu sein. Es zeigte sich inzwischen auch nur noch vereinzelt Schweiß in der Fährte.

Obwohl es dämmrig wurde, folgten Günther und ich weiter der Fährte, die sich durch Dickungen und Altholzer zog. Die anderen Schützen warteten auf weitere Weisung, während der revierkundige stellvertretende Samtgemeinde-Direktor vorausfuhr und an der Reviergrenze abfährtete. Als es dunkel wurde, brachen wir endlich die Suche ab und verbrachen den Fährten- . erlauf, um Anschluss zu behalten.

Ungeduldig warteten die Schützen auf uns. „Was ist los? Habt ihr ihn? Ist er weg?” Viele Fragen stürmten auf uns ein. Doch die Überraschung kam von unserem stellvertretenden Samtgemeinde-Direktor. Er hatte die Reviergrenze nach Brunshausen abgefährtet und die starke Fährte hier einziehend bestätigt. Da wir keine achsuchenerlaubnis für dieses Revier eingeholt hatten. umrundete er das mehrere Hektar große Waldstück – und stand plötzlich dem Keiler auf kürzeste Distanz Aug in Aug gegenüber. Als dieser ihn misstrauisch beäugte, zog sich der Mann leise zurück und berichtete nun.

Es war – wie gesagt – dämmrig, aber wir wollten es am nächsten Morgen noch einmal versuchen, wenn auch mit wenig Hoffnung auf Erfolg. Außerdem mussten die Revierpächter der angrenzenden Reviere benachrichtigt werden. Wir waren der Wundfährte inzwischen wohl über zwölf Kilometer gefolgt.

Hannoverscher Schweißhund durch die Landkreise Teil II